Die Aurora-Preisverleihung 2022 fand am 15. Oktober 2022 auf der italienischen Insel San Lazzaro in Venedig statt. Ziel der Veranstaltung war es, die unverzichtbare Arbeit der neuen Generation von Retterinnen und Rettern zu unterstützen und die universellen humanitären Werte der weltweiten Aurora-Bewegung hervorzuheben.
Die auf der Insel ankommenden Gäste erwartete eine Fotoausstellung zu verschiedenen armenischen religiösen Stätten von New York bis Singapur, die zum Nachdenken über die Präsenz der Armenier in der ganzen Welt anregen sollte. Die Gäste hatten auch Gelegenheit, mehr über die Geschichte dieses Ortes zu erfahren, auf der sich seit 1717 das Kloster der armenisch-katholischen Kongregation der Mechitaristen befindet. Die Republik Venedig überließ die Insel der Kongregation, die 17 Jahre zuvor von Abt Mechitar von Sebasteia gegründet wurde. Die Mechitaristen sind vor allem für ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen altarmenischer Fassungen von ursprünglich verschollenen altgriechischen Texten und für ihre Forschungen zur klassischen und modernen armenischen Sprache bekannt.
Anschließend konnten die Gäste das Solidaritätskonzert des international renommierten Gurdjieff Ensembles unter der Leitung von Levon Eskenian genießen. Namhafte armenische Musiker traten gemeinsam mit historischen Musikstücken auf, um ihre Unterstützung für die Aurora-Finalisten 2022 zu bekunden. Das abendliche Musikprogramm umfasste mehrere Stücke von Komitas und Musik des bedeutenden armenischen Theologen, Dichters, Philosophen und Musikers Heiliger Gregor von Narek (Grigor Narekatsi).
Im Anschluss daran begaben sich die Gäste in die Kirche, wo ein Gebetsgottesdienst mit den Mitgliedern der weltweiten armenisch-christlichen Gemeinschaft stattfand, darunter der Katholikos-Patriarch von Kilikien der armenisch-katholischen Kirche, Seine Seligkeit Raphaël Bedros Minassian, Erzbischof Khajag Barsamian, Vertreter der armenischen Kirche am Heiligen Stuhl und Päpstlicher Delegierter der armenischen Kirche in Westeuropa, sowie Hochwürden Narek Naamoyan, Direktor des Levonian College. Sie alle würdigten die universellen humanitären, aufklärerischen und spirituellen Werte, die sich in der Aurora-Bewegung widerspiegeln.
Es folgte ein eindrucksvolles geistliches Konzert, in dem Höhepunkte der Menschlichkeit gefeiert wurden mit inspirierenden Glanzstücken internationaler und armenischer Musik, dargeboten vom Gurdjieff Ensemble, dem Kinderchor Piccoli Cantori Veneziani und Isabel Bayrakdarian. Die im Libanon geborene kanadisch-armenisch-amerikanische Sopranistin Isabel Bayrakdarian wird in Opernhäusern und Konzertsälen auf der ganzen Welt für ihre Schönheit, ihre Ausstrahlung und ihren Stil ebenso gefeiert wie für ihre außergewöhnlich facettenreiche Stimme, die sich nahtlos in ihre Persönlichkeit einfügt.
Als die Gäste in den Innenhof zurückkehrten, wurde ihnen eine audiovisuelle Aufführung mit dem Titel „Von den Kindern Venedigs für die Welt“ geboten, in deren Mittelpunkt die Ikone der Heiligen Mutter von Sewan stand, die für ihre wunderwirkenden Fähigkeiten bekannt wurde. Im Jahr 1692 verbrachte der damals 16-jährige Diakon Mechitar von Sebasteia 10 Tage auf der armenischen Insel Sewan. Dort betete er vor dieser Ikone und hatte eine Vision der Heiligen Mutter, die ihn mit folgenden Worten ermutigte, sich auf den Weg zur Gründung der Kongregation zu machen: „Lass es geschehen!“ Die bezaubernde Darbietung wurde auch vom Kinderchor Piccoli Cantori Veneziani begleitet, einem der renommiertesten Chöre Venedigs, der 1973 gegründet wurde und derzeit von Diana D'Alessio geleitet wird.
Die Hauptveranstaltung des Abends, die Verleihung des Aurora-Preises 2022, fand in einem Pavillon in den Gärten von San Lazzaro statt und wurde moderiert von dem Journalisten und Schriftsteller David Ignatius, Kolumnist der Washington Post, und Dalia Atallah, UWC-Dilijan-Absolventin und Amal-Clooney-Stipendiatin. An der Zeremonie nahmen weltweit angesehene Persönlichkeiten der humanitären Gemeinschaft, Wissenschaftler, Philanthropen, führende Wirtschaftsvertreter und Repräsentanten der Zivilgesellschaft teil.
„Ich möchte Ihnen sagen, liebe Anwesende, Finalisten und Preisträger, ich freue mich so sehr, dass wir alle zusammengekommen sind und ich sie kennenlernen durfte. Denn für mich sind Sie die moralischen Leitfiguren, Sie sind die Autoritäten für uns alle, für die nächste Generation, für die Menschen, die andere nicht für ihren Kontostand oder ihre Titel bewundern und wertschätzen, sondern für ihre Mitmenschlichkeit“, so Ruben Vardanyan, Mitbegründer der Aurora Humanitarian Initiative und von Noôdome.
Im vergangenen Jahr ist der Aurora-Mitbegründer Vartan Gregorian verstorben. Zu seinem Gedenken sang Isabel Bayrakdarian ein einfaches, aber zugleich einfühlsames Schlaflied mit dem Titel „Rocking Song“ aus der Region Ani im historischen Armenien. Nach dieser bewegenden Darbietung lobte Raffi Gregorian, Sohn von Vartan Gregorian, den weltweiten Einfluss von Aurora auf die Förderung der Menschlichkeit und sagte: „Wie gelingt generationenübergreifende Menschlichkeit? Sie gelingt mit all Ihnen hier. Es sind nicht nur die Aurora-Finalisten und -Preisträger, die ihr Leben riskieren, um andere zu retten, um die Unterdrückten, die Stimmlosen und die Schutzlosen aufzurichten und ihnen Hoffnung zu geben, sondern es sind auch diejenigen, die diesen Preis möglich gemacht haben.“
Dr. Noubar Afeyan, Mitbegründer der Aurora Humanitarian Initiative, Mitbegründer und Verwaltungsratsvorsitzender von Moderna sowie Gründer und CEO von Flagship Pioneering, fügte hinzu: „Wir vermissen Vartans persönliche Anwesenheit sehr, aber seine emotionale, intellektuelle und spirituelle Präsenz ist bei uns, denn er hat uns auch eine fortwährende Erinnerung an seine Gedanken hinterlassen, die wir jedes Mal, wenn wir miteinander sprechen, weitergeben können“. Danach kündigte Dr. Noubar Afeyan die Einrichtung des Vartan Gregorian Humanitarian Fund an, der sicherstellen soll, dass Aurora in den kommenden Jahren eine sich selbst tragende Organisation sein wird.
„Ich fühle mich geehrt, an diesem Projekt mitzuwirken und dafür zu sorgen, dass wir genug Leute in dieser Bewegung haben, um dieses Projekt langfristig zu etablieren, denn es gibt keine größere Ehre und kein größeres Glück, als all die Finalisten, all die Preisträger zu treffen und von ihrer Arbeit zu hören. Wir brauchen jeden Tag etwas, das uns Hoffnung gibt, denn die Nachrichten aus der ganzen Welt geben uns diese Hoffnung nicht“, so Anna Afeyan, Mitbegründerin und Co-Vorsitzende der Afeyan Family Foundation.
Mary Robinson, Mitglied der Auswahlkommission für den Aurora-Preis, ehemalige Präsidentin Irlands und ehemalige Hohe Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte, brachte ebenfalls ihre Bewunderung für Vartans Vermächtnis und für die Bewahrung desselben zum Ausdruck: „Aurora bringt Gruppierungen aus aller Welt und verschiedene Arten von Gruppierungen auf eine sehr integrative Art und Weise zusammen und legt auch hier einen großen Schwerpunkt auf junge Menschen. Ich schätze das generationenübergreifende Konzept sehr, und ich denke, dass wir das noch weiter ausbauen können.“
Lord Ara Darzi, Vorsitzender der Auswahlkommission des Aurora-Preises und Co-Direktor des Institute of Global Health Innovation am Imperial College London, kam anschließend auf die Bühne, um die mutige Arbeit von Jamila Afghani, Hadi Jumaan und Mahienour El-Massry vorzustellen, durch die Mädchen und Frauen in Afghanistan Zugang zu Bildung erhalten, Kriegsgefangene im Jemen befreit und Menschenrechte in Ägypten verteidigt werden. „Trotz der Risiken und Herausforderungen stellen diese Aurora-Finalisten das Leben und die Sicherheit anderer Menschen über alles andere. Ihre Geschichten sind eine Quelle der Hoffnung und Inspiration in schwierigen Zeiten, und es ist uns eine Ehre, sie heute Abend zu würdigen“, so Lord Darzi.
Danach wurde bekannt gegeben, dass der siebte alljährlich vergebene Aurora-Preis zur Förderung der Menschlichkeit an Jamila Afghani, eine Pädagogin, Menschenrechtsverteidigerin und die Gründerin der Noor Educational and Capacity Development Organization (NECDO) verliehen wird. Jamila hat sich über 25 Jahre ihres Lebens dafür eingesetzt, den Frauen in Afghanistan Zugang zu Bildung zu verschaffen. Leider konnte sie trotz aller Bemühungen nicht persönlich nach Venedig kommen, um an der Veranstaltung von Aurora teilzunehmen. Sie hielt jedoch via Zoom eine emotionale Dankesrede.
„Manchmal haben wir das Gefühl, dass es in dieser Welt keine Menschlichkeit mehr gibt. Aber Aurora ist der Beweis dafür, dass es nach wie vor Menschlichkeit gibt. Und die humanitären Akteure wissen um den Schmerz und das Leid der Menschen in Afghanistan. Und Sie stehen an unserer Seite und reichen den bedürftigen Menschen in Afghanistan die Hand zur Hilfe und Unterstützung“, so Jamila Afghani.
Die Preisträgerin erhält ein Preisgeld in Höhe von 1.000.000 US-Dollar und die Möglichkeit, den Kreislauf des Gebens fortzusetzen, indem sie Organisationen unterstützt, die Menschen in Not helfen. In diesem Jahr werden 300.000 US-Dollar des Preisgeldes des Aurora-Preises für die Bekämpfung einer der akutesten und unbeachteten humanitären Krisen im Jemen verwendet, wo das menschliche Leid dringend ein Eingreifen erfordert. Als Aurora-Preisträgerin 2022 hat sich Jamila Afghani zudem entschieden, die Women International League for Peace and Freedom (WILPF) und die Noor Educational and Capacity Development Organization (NECDO) zu unterstützen.
„Ein bestimmter Teil dieses [Preisgeldes] wird für eine große und unbeachtete aktuelle Krise verwendet, die sich in diesem Jahr im Jemen abspielt. Doch wir wollen an so vielen Orten wie möglich etwas bewirken – in Afghanistan ebenso wie im Jemen“, betonte Dr. Noubar Afeyan. Auch Ruben Vardanyan ergänzte: „Die Entscheidung für den Jemen wurde weder von der Auswahlkommission noch von uns Gründern getroffen. Es waren die Finalisten und Preisträger, die gemeinsam das Land ausgewählt haben, dem unbedingt geholfen werden muss․“
Der Tradition von Aurora folgend sangen zum Abschluss Isabel Bayrakdarian, das Gurdjieff Ensemble und der Kinderchor Piccoli Cantori Veneziani das Lied Pour toi, Arménie, das der berühmte verstorbene Charles Aznavour komponiert hatte, um für die vom Erdbeben 1988 in Spitak betroffenen Armenier Spenden zu sammeln und sie zu unterstützen. Danach folgte Erebuni, Jerewan mit Haig Vosgueritchian an der Orgel. Das Läuten der Glocken von San Lazzaro, als Zeichen der Menschlichkeit, die durch den Aurora-Preis immer wieder aufs Neue gefördert wird, bildete den krönenden Schlusspunkt der feierlichen Veranstaltung.