Die Diskussionsveranstaltung der Aurora Dialogues in Venedig mit dem Titel „Gesprächsrunde mit den Aurora-Finalisten 2021“ fand am 8. Oktober 2021 im Rahmen der Veranstaltungen zur Verleihung des Aurora-Preises 2021 in Italien statt. Das Treffen mit den außergewöhnlichen Helden von heute wurde im Auditorium der Internationalen Universität Venedig auf der malerischen Insel San Servolo (Isola di San Sèrvolo) abgehalten.
Noubar Afeyan, Mitbegründer der Aurora Humanitarian Initiative, eröffnete die erste Veranstaltung des Aurora-Wochenendes in Venedig und begrüßte die Menschen, die in Zeiten der Pandemie aus verschiedenen Teilen der Welt zusammengekommen waren. Er reflektierte die letzten sechs Jahre von Aurora und bezeichnete sie als eine Erfahrung, die alle Aurora-Mitbegründer mit Demut erfüllt, wenn sie all die inspirierenden Geschichten von menschlichem Durchhaltewillen und Mut in dieser Zeit sehen.
„Wir sind hier zusammengekommen, weil wir alle daran glauben, dass die Welt eine bessere sein kann, und wir arbeiten auf unsere eigene Weise und in unseren eigenen Bereichen daran, dies zu erreichen. Hier mit diesen außergewöhnlichen Menschenfreunden zusammen zu sein, deren Geist sie motiviert, andere zu retten, unterstreicht all die Möglichkeiten, wie wir anderen nicht nur beim Überleben helfen können, sondern auch bei ihren Bemühungen, wieder ins Leben zurückzufinden, was das Thema unserer Veranstaltung an diesem Wochenende ist, und schließlich aufzublühen“, so Noubar Afeyan, der an den Aurora-Mitbegründer Vartan Gregorian erinnerte, dessen Tod im April 2021 ein großer Verlust war. Dr. Afeyan betonte, dass er zwar nicht mehr unter uns sei, sein Geist und seine Inspiration jedoch weiterhin alle Aktivitäten von Aurora beflügelten.
Für Dele Olojede, das jüngste Mitglied der Auswahlkommission für den Aurora-Preis, war es das erste Mal, dass er als Teil der großen humanitären Familie bei den Aurora-Veranstaltungen anwesend war. Bevor er als Moderator die Diskussionsrunde mit den Aurora-Finalisten 2021 eröffnete, übermittelte er eine Grußbotschaft von Benjamin Ferencz, dem Ehrenvorsitzenden der Auswahlkommission für den Aurora-Preis, der in wenigen Monaten 102 Jahre alt wird und leider nicht am Aurora-Wochenende in Venedig teilnehmen konnte: „Mit der Aurora Humanitarian Initiative haben wir ein gemeinsames Ziel: die Schaffung einer humaneren Gesellschaft für alle Menschen auf der Welt. Heute sind Sie in Venedig zusammengekommen, um die Helden von heute zu würdigen. Heldenhaft zu sein bedeutet, sich konsequent für eine friedlichere Welt einzusetzen, wie schwierig oder gefährlich das auch sein mag. Wenn wir eine bessere Zukunft wollen, dürfen wir nicht aufhören, gütig zu sein, mitfühlend zu sein und denen zu danken, die anderen helfen.“
Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte Lord Ara Darzi, Vorsitzender der Auswahlkommission für den Aurora-Preis, die Aurora-Preisträgerin 2020, Fartuun Adan. Sie und ihre Tochter Ilwad Elman wurden aufgrund der Einschränkungen durch die COVID-19-Pandemie online als Aurora-Preisträgerinnen ausgezeichnet. In diesem Jahr hatten endlich alle die Gelegenheit, Fartuun Adan persönlich zu feiern und ihr die Aurora-Preis-Statuette zu überreichen. „Ich habe das Privileg, die aufgrund der Pandemie noch ausstehende persönliche Übergabe des Aurora-Preises 2020 nachzuholen, und zwar durch die Vorstellung der Aurora-Preisträgerinnen 2020, die wir zwar kennen, aber aufgrund der Pandemie noch nicht persönlich treffen konnten: Fartuun Adan und ihre Tochter Ilwad Elman. Beide sind Menschenrechtsaktivistinnen und leiten das Elman Peace and Human Rights Center in Somalia. Für ihren Einsatz zum Schutz der Frauenrechte, zur Friedensförderung und zur Rehabilitation von Kindersoldaten wurden beide im vergangenen Jahr mit dem Aurora-Preis ausgezeichnet. Sie stehen beispielhaft für den Geist der Mitmenschlichkeit, der die Arbeit verkörpert, die Aurora mit Stolz feiert und unterstützt.“
Dele Olojede, der die Diskussion moderierte, erinnerte an die Kernaussage über die Bedeutung der Anerkennung, die von einem ihm bekannten Erzbischof in Afrika geprägt wurde: „Menschen sind Menschen durch andere Menschen. Es geht um die Anerkennung der grundlegenden Menschlichkeit des anderen, und es ist für mich ein besonderes Privileg, das Gespräch mit den diesjährigen Finalisten zu moderieren.“
Dann kamen nacheinander die Aurora-Finalisten 2021 auf die Bühne und erzählten dem Publikum ihre mutigen und selbstlosen Geschichten. Dele Olojede fragte sie nach ihrer Resilienz und wie sie es geschafft haben, so lange mit menschlichen Katastrophen konfrontiert zu sein und gleichzeitig stark zu bleiben und den Opfern von sexueller Gewalt in Kriegszeiten weiterhin zu helfen. „Wenn man in einem Land voller Schmerz und Leid lebt und auf Schritt und Tritt Frauen und Kindern begegnet, die grausamer Gewalt ausgesetzt sind, muss man einfach handeln. Wenn man ihre Not sieht, muss man etwas tun. Man sieht schreckliche Dinge, aber wenn man auch die positiven Auswirkungen seiner eigenen Arbeit sieht, die Veränderung, die Verwandlung von Opfern in Sieger, den inneren Mut, den sie finden, um ihr Leben weiterzuleben, dann wird einem klar, dass man nicht aufhören darf“, so die kongolesische Menschenrechtsverteidigerin Julienne Lusenge.
„Wie verhindert man, dass man verrückt wird?“ Diese Frage hätte man allen Aurora-Finalisten stellen können. Und sie alle haben einen guten Grund, weiterzumachen und trotz aller Widrigkeiten und Schwierigkeiten anderen zu helfen. „Man lässt seine Ängste einfach hinter sich und macht seine Arbeit. Als ich bedroht und verfolgt wurde und mich eine Zeit lang verstecken musste, stellten mir alle dieselbe Frage: Warum gehst du zurück? Aber ich wusste, dass die Bauern meine Hilfe wirklich brauchten. Ich habe meine Arbeit stets mit Leidenschaft gemacht und hätte nie gedacht, dass ich an einem anderen Ort glücklich sein könnte“, so Ruby Castaño, eine Menschenrechtsaktivistin, die sich für die Rechte Tausender verfolgter kolumbianischer Bauern einsetzt.
„Die Menschenwürde ist das Wichtigste, wofür wir kämpfen müssen. In Afrika wird den Menschen mit psychischen Erkrankungen diese Würde genommen. Sie werden vollkommen vernachlässigt. Psychische Erkrankungen sind eine Schande und ein Stigma, und diese Menschen werden meist in Ketten gelegt und dem Tod überlassen. Als ich zum ersten Mal einem solchen Menschen begegnete, hatte ich Angst, aber dann habe ich in diesen Menschen Gott und meine Berufung gefunden.“ Grégoire Ahongbonon, Aktivist für psychische Gesundheit, hatte in Venedig eine Kette dabei, um die grausame Realität seiner Arbeit vor Augen zu führen. Mit eben dieser Kette war ein psychisch kranker Mensch sieben Jahre lang an den Boden gekettet, bevor er schließlich von Ahongbonon befreit wurde.
Paul Farmer, ein medizinischer Anthropologe, berichtete von seinen Erfahrungen als Spezialist und humanitärer Helfer. Er ist Mitbegründer von Partners In Health, einer Organisation, die die Vorteile der modernen medizinischen Wissenschaft zu denen bringt, die sie am meisten brauchen: „Was ich aus meinen Erfahrungen in Haiti gelernt habe, die auch in Sibirien und Westafrika nützlich waren, ist, dass die Leute immer wieder sagen: ‚Was wir brauchen, ist kulturelle Kompetenz. Das sollte unser Ziel sein.‘ Aber ich wusste ja, dass kulturelle Kompetenz eine Farce ist. Was man braucht, ist kulturelle Demut. Und das bedeutet manchmal, einfach ruhig zu sein und zuzuhören. Genau das hat Julienne geschildert – bei ihrer Arbeit geht es viel ums Zuhören. Und dies trifft eindeutig auch auf Ruby und Gregoire zu. Und ich glaube, ich habe in Haiti gelernt, den Mund zu halten, still zu sein. Und ruhig zu sein entspricht nicht meinem Wesen. Aber genau das ist der Knackpunkt. Kulturelle Demut ist so viel wichtiger als kulturelle Kompetenz.“
Vier der fünf Aurora-Finalisten 2021 waren in Venedig, um ihre Tätigkeit vorzustellen und über ihre Erfahrungen zu berichten. Leider konnte die jemenitische Ärztin Ashwaq Moharram nicht nach Venedig kommen. Das Publikum hatte jedoch die Möglichkeit, mehr über ihre Arbeit zu erfahren und einen Film über ihren selbstlosen Weg und ihr Engagement für die hungernde Bevölkerung von Hodeida anzuschauen.
„Es ist erstaunlich zu sehen, wie Menschen aus 27 Ländern zusammenkommen, um sich für humanitäre Belange einzusetzen, was unserer Meinung nach gerade jetzt, in Zeiten der Pandemie, sehr wichtig ist. Ich möchte mich einfach bei allen bedanken, dass es Sie gibt. Ich danke Ihnen für Ihr Engagement. Und wir hoffen wirklich, dass wir unsere Bewegung fortsetzen und ausweiten können“, so Ruben Vardan, Mitbegründer der Aurora Humanitarian Initiative, zum Abschluss der Veranstaltung.
Die gesamte Videoaufzeichnung des Gesprächs können Sie nachstehend ansehen (Englisch).