logo
SCHLIESSENMenu
Die weltweiten Krisen und ihre humanitären Folgen

Die weltweiten Krisen und ihre humanitären Folgen

Am 16. Oktober 2022 fand in der Universität Ca' Foscari in Venedig, Italien, die Aurora Dialogues-Veranstaltung mit dem Titel Die weltweiten Krisen und ihre humanitären Folgen statt. Im Rahmen des Aurora-Preis-Wochenendes 2022 fand zuvor das Gespräch mit Aurora-Mitbegründer Noubar Afeyan statt, in dem Auroras Beitrag zur Bewältigung der akutesten gegenwärtigen Krisen beleuchtet wurde. 

Die Veranstaltung Die weltweiten Krisen und ihre humanitären Folgen brachte weltweit renommierte Friedens- und Menschenrechtsaktivisten und Menschenrechtler, darunter die Mitglieder der Auswahlkommission des Aurora-Preises, sowie Vertreter der Aurora-Gemeinschaft und Unterstützer der Initiative zusammen, die gemeinsam die Folgen heutiger Krisen auf besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen wie Frauen, Kinder und Vertriebene erörterten und darüber diskutierten, was auf nationaler und internationaler Ebene getan werden könnte, um Konzepte für positive, greifbare Veränderungen zu entwickeln. 

Moderiert wurde die Diskussion von Lord Ara Darzi, dem Vorsitzenden der Auswahlkommission des Aurora-Preises und Co-Direktor des Institute of Global Health Innovation am Imperial College London. In seiner Eröffnungsrede gratulierte er der Aurora-Preisträgerin 2022, Jamila Afghani, und sprach über die negativen Auswirkungen der Pandemie auf die Schwächsten. „Während wir mit COVID-19 eine der wahrscheinlich schlimmsten Pandemien dieser Generation hinter uns lassen und uns von ihren weitreichenden Auswirkungen erholen, stellen wir fest, dass wir in einer zunehmend instabilen und schwierigen Welt leben. Neben der Pandemie und dem Klimawandel gibt es eine erhebliche Zunahme von Konflikten, deren Auswirkungen auf Inflation und Sicherheit der Energie- und Nahrungsmittelversorgung uns allen in der Zukunft erhebliche Unsicherheiten bereiten können. All diese Faktoren wirken sich besonders auf die Schwächsten aus, darunter Kinder, Frauen, Vertriebene und ausgegrenzte Gemeinschaften“, so Lord Darzi.

Der Journalist, Buchautor und Kolumnist der Washington Post David Ignatius sprach über die Rolle des Journalismus bei der Bewältigung der Krisen in dieser krisengeschüttelten Welt. „In meiner Branche geht es um aktuelle Krisen. Ich sage immer, dass Sie nie eine Schlagzeile in einer Zeitung lesen werden, die lautet: ‚Flugzeug sicher gelandet‘. Vielmehr werden Sie lesen: ‚Flugzeug abgestürzt‘. Ich erwähne das, weil wir bei diesen schwierigen Problemen, die ein Stück weit von uns entfernt stattfinden und bei denen es nicht um Flugzeuge geht, die bereits abgestürzt sind, sondern um Flugzeuge, die erst irgendwann abstürzen werden, in meiner Branche Mühe haben, uns angemessen auf die Zukunft zu fokussieren“, so David Ignatius.

Marina Sapia, Leiterin des International Desk bei Rai TG1, verwies auf eine gewisse Desensibilisierung, die uns von den Medien aufgezwungen wird: „Die Medien haben dafür gesorgt, dass wir uns mit Konflikten und Terrorismus abfinden müssen. Wir haben gelernt, jeden Tag mit einem gewissen Anteil an Blut und Gewalt in unserer kollektiven Vorstellung zu leben. Dies ist kein guter Weg, mit Konflikten umzugehen, aber wir müssen uns dessen bewusst sein. Durch den globalen Informationsfluss wurden wir auf viele Regionen in der Welt aufmerksam, in denen Konflikte an der Tagesordnung sind.“

Julienne Lusenge, Aurora-Preisträgerin 2021, Mitbegründerin des Fonds für kongolesische Frauen (FFC) und Mitbegründerin und Präsidentin der Organisation für Frauensolidarität für inklusiven Frieden und Entwicklung (SOFEPADI), wies darauf hin, wie wichtig es ist, dass sich Gemeinschaften zusammenschließen, um die Täter strafrechtlich zu verfolgen. „Wir nahmen ein Blatt Papier und fingen an, die Namen der Frauen und Mädchen [die vergewaltigt wurden] mit dem Datum aufzuschreiben, und wer das getan hat und wo es passiert ist. Und als wir vom Internationalen Gerichtshof hörten, schickten wir die Unterlagen dorthin, um Gerechtigkeit für die Frauen in der Provinz Ituri zu fordern. Sie haben sich an uns gewandt, und wir haben die Frauen für eine Zeugenaussage geholt“, erläutert Julienne Lusenge. 

Ruben Vardanyan, Mitbegründer der Aurora Humanitarian Initiative und von Noôdome, erinnerte die Teilnehmer daran, dass moralische Führung nicht nur bei einzelnen Menschen, sondern auch in Gesellschaften zu finden ist. „Eines der wichtigsten Elemente moralischer Führung und der Gemeinschaften, von denen wir sprechen, ist nicht nur die Einhaltung von Gesetzen, sondern auch die Einhaltung der Regeln der Gemeinschaft, die besagen: ‚Du bist unberührbar. Wir geben dir nicht die Hand.‘ <…> Dazu werden wir jetzt zurückkehren. Ich denke, dass es in den Gesellschaften sowohl formelle als auch informelle Regeln geben wird, bei denen die Menschen sagen: ‚Wisst ihr was? In unserer Gesellschaft ist das nicht möglich‘“, so Vardanyan. 

Riccardo Clerici, Senior Government Liaison Officer beim UNHCR, wies darauf hin, dass die Klimakrise für Menschen, die vor Konflikten Schutz suchen, zusätzliche Herausforderungen mit sich bringt. „Für Geflüchtete ist der Klimawandel eine der Ursachen für Vertreibung. Wenn ein Geflüchteter aus seinem Heimatland flieht, vertrieben wird und in ein sogenanntes Erstaufnahmeland kommt, ist auch dieses Erstaufnahmeland in ökologischer Hinsicht gefährdet. Man denke an Pakistan mit dem größten afghanischen Bevölkerungsanteil und die Überschwemmungen, die gerade erst passiert sind. Daher müssen wir als Organisation und Sie heute verstehen, dass es im Zusammenhang mit humanitären Notsituationen eine Vielzahl von Anpassungsmaßnahmen gibt“, so Riccardo Clerici.

Peter Sands, Exekutivdirektor des Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria, sieht einen wesentlichen Aspekt, der beim Umgang mit komplexen Problemlagen wie diesen zu berücksichtigen ist, darin, dass sich die Probleme zwangsläufig gegenseitig verstärken, wodurch sich die Auswirkungen in ihrer Gesamtheit noch weiter verschärfen. „Wir Menschen versuchen immer, alles in eine Schublade zu stecken. Wir sprechen immer von einer Pandemie, wir sprechen immer vom Klimawandel, wir sprechen immer von Konflikten, aber in Wirklichkeit überschneiden sich diese gleichzeitig auftretenden Krisen, und die Ärmsten und Schwächsten der Welt sind davon besonders stark betroffen. Und was auch immer die Ursache sein mag, die Krisen bringen in aller Regel über Infektionskrankheiten den Tod von Menschen mit sich“, betonte Sands.

Dele Olojede, Pulitzer-Preisträger, Mitglied der Auswahlkommission des Aurora-Preises und Vorstandsvorsitzender des Kashim Ibrahim Fellowship, schloss sich dieser Ansicht an und fügte hinzu: „Man kann in den entlegensten Winkeln der Welt die Folgewirkungen von Konflikten beobachten, die an einem Ort beginnen und sich auf andere ausweiten. Leider haben wir trotz umfangreicher Erfahrungen mit Konflikten in der Welt, mit verschiedenen historisch bedeutsamen Krisen, immer noch nicht die Fähigkeit entwickelt, die meisten von ihnen frühzeitig zu erkennen, bevor sie sich ausweiten.“

Viele der Podiumsteilnehmer waren Vertreter internationaler Organisationen, die sich für eine Verbesserung der Situation einsetzen, darunter María Elena Agüero, Generalsekretärin des Club de Madrid, die über dessen Aufgaben berichtete: „Auf den verschiedenen Ebenen – sei es auf globaler Ebene, wenn wir mit internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen arbeiten, oder auf regionaler Ebene wie der Europäischen Union, auf der Ebene der Regierungen oder auf der Ebene der Zivilgesellschaft und des Privatsektors – nutzen die Mitglieder des Club de Madrid ihre Erfahrung und ihre Kontaktmöglichkeiten, um diese Brücken zu bauen und diese Themen an die Entscheidungsträger heranzutragen.“ 

Die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, Mitglied der Auswahlkommission des Aurora-Preises und Gründerin des Defenders of Human Rights Center, warf die Frage auf, warum einige Länder offenbar stärker von Katastrophen betroffen sind als andere. „Nehmen wir zum Beispiel Erdbeben. Es ist zwar eine Naturkatastrophe, aber wenn man sich verschiedene Länder anschaut und die Auswirkungen von Erdbeben in einem Land betrachtet, das fortschrittlich aufgestellt ist und über eine sehr fortschrittliche Infrastruktur verfügt, und in einem Land, in dem dies nicht der Fall ist, dann führt dies zu Wanderungsbewegungen von Menschen aus weniger entwickelten Ländern in entwickelte Länder. Und in 20 Jahren wird der überwiegende Teil der Erde unbewohnbar sein“, so Shirin Ebadi.

Der Aurora-Preisträger 2019 Mirza Dinnayi, dessen Verein Luftbrücke Irak Tausende Opfer des ISIS-Terrors gerettet hat, wies auf die prekäre Lage von Minderheiten hin, die in den von Konflikten betroffenen Ländern leben. „Eines der Hauptprobleme, insbesondere für diese Minderheiten, ist, dass sie in doppelter Hinsicht diskriminiert werden. Erstens befindet sich ihr Heimatland in großer Not und hat große Probleme, und zweitens sind diese Minderheiten, insbesondere religiöse Minderheiten, mit dem zunehmenden Extremismus in unseren Ländern konfrontiert. Die Herausforderung ist also enorm“, so Dinnayi.

Dr. Noubar Afeyan, Mitbegründer der Aurora Humanitarian Initiative, Gründer und CEO von Flagship Pioneering und Mitbegründer und Verwaltungsratsvorsitzender von Moderna, las einige Schlagzeilen aus den Jahren 1922 und 2022 vor und zog Parallelen zwischen den Sorgen, die die Menschen vor hundert Jahren hatten, und denen, die sie heute haben - Krieg, Krankheiten, Inflation, Katastrophen. „Einige Dinge haben sich geändert, aber die Natur des Menschen und die Natur der Institutionen haben sich nicht wirklich geändert, und so haben wir es mit vielen gleichartigen Konflikten und großen Veränderungen zu tun. Die Frage ist, wenn wir die Schlagzeilen für das nächste Jahr schreiben dürften, wie sollten sie dann lauten? Und ich vermute, es wäre keine der Schlagzeilen, die wir soeben gelesen haben. Ich denke, ein Teil der Diskussion, der Arbeit, die viele von Ihnen im humanitären Bereich leisten, betrifft die Frage: Können wir selbst einige dieser Schlagzeilen produzieren, anstatt sie zu lesen und sie als negativ zu empfinden?“, so Dr. Afeyan.

Abschließend bedankte sich Lord Ara Darzi bei den Podiumsteilnehmern für ihre wertvollen Beiträge zu dieser Diskussion. „Ich bin sicher, Sie verlassen diesen Raum mit der Zuversicht, dass wir nach wie vor Vertrauen und Hoffnung haben und beides auch in Zukunft haben werden“, so Lord Darzi.

Die gesamte Videoaufzeichnung der Veranstaltung können Sie nachstehend ansehen (auf Englisch).