Ich erinnere mich an eine Zeit ohne jegliche Diskriminierung. Ich erinnere mich an eine Zeit, in der die Rohingya wählen, zur Schule gehen, frei zwischen den Städten reisen und politische Parteien bilden konnten. Das war einmal. Mittlerweile wurden wir unserer Identität beraubt.
Anlässlich des zweiten Jahrestages des Konflikts, durch den wir aus unserer Heimat vertrieben wurden, halte ich immer noch an meinem Glauben an die Menschheit fest. Unser Glaube an das Gute und das Mitgefühl ist grenzenlos. Ich habe mir den Glauben daran bewahrt, weil ich mir die Alternative gar nicht vorstellen möchte. Sogar bei unseren Mühen und Kämpfen in der Vergangenheit und der Gegenwart habe ich die Kraft der Helden des Alltags in unserer und Ihrer Gemeinschaft erlebt. Diese Helden können uns retten.
Mit Entsetzen hat die Welt mit ansehen müssen, wie die Rohingya ab 25. August 2017 unter schrecklichen Gräueltaten zu leiden hatten und gezwungen wurden, ihre Häuser in Myanmar zu verlassen. Hunderttausende von Rohingya-Flüchtlingen leben heute unter völlig unwürdigen Bedingungen in den Flüchtlingslagern in Bangladesch und anderen Orten. Die meisten von ihnen leben in dem am dichtesten besiedelten Flüchtlingslager der Welt, dem Kutupalong-Balukhali Expansion Site in Bangladesch. Dieses Lager ist größer als riesige Ballungszentren wie beispielsweise Miami, Atlanta und New Orleans, verfügt jedoch nicht über die Infrastruktur dieser Metropolen.
Die Schlagzeilen über unser Schicksal fanden ihren Weg in die Nachrichten und sind danach ebenso schnell wieder verschwunden, aber an unserer Realität hat sich nichts geändert. Hunderttausende Kinder haben keinen Zugang zu Bildung und medizinischer Grundversorgung. Den meisten fehlt der Zugang zu angemessener Ernährung, sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen. Alle sind nach wie vor den Gefahren der Monsunzeit und der damit verbundenen Überschwemmungen ausgeliefert.
Aber wir sind nicht allein. Die Welt von heute ist voll von Konflikten und Nöten – in allen Teilen der Erde. Menschen werden ausgegrenzt, missbraucht und getötet. Mehr als 40 Millionen Menschen wurden in ihrem eigenen Land vertrieben, und fast 26 Millionen leben als Flüchtlinge.
Aber inmitten all dieser Umstände haben sich humanitäre Helfer des Alltags erhoben, um an unserer Seite zu stehen und unsere Widerstandskraft zu stärken. Uns wurde enormes Mitgefühl entgegengebracht. In Momenten der Dunkelheit schenkt uns die Menschlichkeit einen Schimmer der Hoffnung.
Menschen aus verschiedenen Ländern, von internationalen Organisationen und aus allen Gesellschaftsschichten haben ihre Stimme erhoben und dazu beigetragen, dass wir unsere Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht verlieren. Ärzte haben geholfen, Kinder in Flüchtlingslagern mit Hunderttausenden von Impfstoffen zu versorgen, Lehrer haben für die Grundschulbildung unserer Kleinkinder gesorgt und Arbeiter haben beim Bau von provisorischen Brunnen geholfen, damit uns sauberes Trinkwasser zur Verfügung steht.
Ohne die Hilfe dieser unbekannten Helden würden wir aufhören zu existieren. Trotz dieser enormen Welle der Unterstützung befinden wir uns immer noch in einem Schwebezustand und sehen uns einer Regierung gegenüber, die unsere Identität auslöschen will. Wir werden uns weiterhin für Gerechtigkeit und die Wiederherstellung unserer Identität in unserer Heimat in Myanmar einsetzen. Aber in der Zwischenzeit benötigen wir Hilfe für den Schutz und die Absicherung unserer Identität. Ohne entsprechende Bildungsmöglichkeiten für die nächste Generation werden unsere gemeinschaftlichen Erinnerungen mit unserer reichen Geschichte und Kultur verblassen. Wir können nicht zulassen, dass dies geschieht.
Deshalb suchen wir in diesen schwierigen Zeiten Trost bei denen, die Opfer ähnlicher Umstände geworden sind. Und so wie diese Gruppierungen können auch wir unsere Geschichte und die Wahrheit nie vergessen. Der Überlebende des Holocaust und Menschenrechtsverteidiger Elie Wiesel brachte es wie folgt am besten auf den Punkt: „Ohne Erinnerung gibt es keine Kultur. Ohne Erinnerung gäbe es keine Zivilisation, keine Gesellschaft, keine Zukunft.“
Ich hoffe, Sie werden in Ihrem Alltag etwas Zeit finden, sich der Menschen, die noch immer auf der ganzen Welt zu leiden haben, zu erinnern, über sie nachzudenken und sie nicht zu vergessen.
Kyaw Hla Aung ist ein Rohingya-Rechtsanwalt und Aurora-Preisträger 2018.
Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die eigenen Ansichten des Autors.
Dieser Artikel erschien erstmals in Newsweek.