Als Inhaber einer traditionsreichen Uhren- und Diamantenfirma führt Vartkess Knadjian ein bewegtes Leben zwischen Genf und London. Im Vergleich zur Odyssee seiner Vorfahren freilich wirkt es fast beschaulich. Die Familiengeschichte liest sich wie ein Roman.
Wechselnde und mitunter auch exotische Schauplätze sind in armenischen Biographien eher die Regel als die Ausnahme. Doch nur wenige führen uns an so ausgefallene Orte wie die der Knadjians: Dschibuti, Addis Abeba, Antananarivo.
Vartkess Knadjian erntet denn auch stets erstaunte Blicke, wenn er von seiner Kindheit in Äthiopien erzählt. Drei Generationen von Knadjians haben dort gewirkt, so daß man ihn mit Fug und Recht als weißen Afrikaner ansehen kann. „Um so mehr, als es zwischen Äthiopien und Armenien seit uralten Zeiten Berührungen gab.“ Beide gehören zu den ältesten christlich dominierten Nationen der Welt, und beide waren Randgebiete des byzantinischen Orients.
Eine große Familie: Die Knadjians bei einer Taufe 1924 in Addis Abeba. |
Die Ähnlichkeiten der jeweiligen Schriften dürften in frühen Kulturkontakten in Jerusalem und Ägypten ihren Ursprung haben. Schon im 15. Jahrhundert bereisten Armenier Abessinien. Die modernen Verbindungen entstanden dann zu einer Zeit, die für beide Völker einen historischen Wendepunkt bedeutete.
1896 besiegte die Armee des äthiopischen Kaisers Menelik II. in der Schlacht von Adua die italienischen Kolonialtruppen. Um diesen Erfolg zu sichern, musste er das Land modernisieren. Verständlicherweise traute er aber den Kolonialmächten nicht über den Weg, und so lief ein Gutteil seiner Staatsgeschäfte über armenische Mittelsmänner. Er ermunterte sie, sich in Abessinien niederzulassen. In der Türkei rollte damals die erste Welle der Verfolgung, so dass mehrere tausend Armenier dem Ruf aus Addis folgten.
Aus Ajntab kommend, reiste Großmutter Meroum (in der Mitte sitzend) 1912 von Dschibuti ins äthiopische Hochland, um zu heiraten. Die Bahnlinie war noch unvollendet, die letzten dreihundert Kilometer mussten zu Pferd zurückgelegt werden. Am Endpunkt der Bahn nahmen Mitglieder der Familie Knadjian die Reisegesellschaft in Empfang, darunter ihr künftiger Bräutigam Nazareth (sitzend, zweiter von rechts). |
Mit der Zeit holten diese Auswanderer ihre Familien zu sich oder sandten nach einer Braut aus ihrer Heimatgemeinde. So kam auch Nazareth Knadjian, Zimmermann aus Ajntab (Gaziantep) im Südosten Anatoliens, nach Addis Abeba. Eigentlich begleitete er nur seine Schwester, die dort einen Armenier ehelichte, doch kurzentschlossen blieb er im Land und eröffnete schließlich Nazareth‘s Café. Es avancierte bald zum Treffpunkt der Anhänger der Ramkavar-Partei – die Diaspora war ein Mikrokosmos der politischen und kulturellen Strömungen der Armenier in den Ursprungsländern.
Nazareths Bruder folgte den Geschwistern bald nach. Als er seinerseits heiraten wollte, fiel die Wahl auf Meroum Avakian aus Ajntab. Doch er starb, noch während Meroum unterwegs zu ihm war. Schließlich heiratete sie Nazareth statt seiner.
Mit diesem Meisterstück bestand Antranig Knadjian 1940 die Abschlußprüfung an der Genfer École d’horlogerie. Die Uhr ist seinem Vater Nazareth gewidmet. |
Ungeachtet dieser Komplikationen kam Antranig Knadjian 1915 in Addis zur Welt. Voll Hochachtung erinnert Vartkess sich an seinen Vater. „Er ging bei einem örtlichen Uhrmacher in die Lehre, doch sein eigentlicher Wunsch war es, Medizin zu studieren. Schließlich konnte er sich mit neunzehn an einer armenischen Schule in Paris einschreiben.“ Während der Ferien besuchte er einen Klassenkameraden in Genf. Dessen Vater überzeugte ihn, an der dortigen École d’horlogerie seine Ausbildung zum Uhrmacher fortzuführen. 1940 machte er seinen Meister.
Mittlerweile war Äthiopien italienische Kolonie geworden, und so kam Antranig zu einem italienischen Pass. Ein Jahr später reiste er mitten im Krieg nach Dschibuti, um seinen Vater zu treffen, der aus Äthiopien ausgewiesen worden war, weil er mit den Monarchisten sympathisierte. Wegen der britischen Blockade schickten die Franzosen sich gerade an, die weiße Bevölkerung Dschibutis in andere Kolonien zu evakuieren. Damit Nazareth heimlich nach Addis zurückkehren konnte, machte Antranig sich an seiner Stelle auf nach Madagaskar. „Schon an Bord reparierte er die Uhren seiner Mitpassagiere“, amüsiert sich Vartkess, „zum Glück wird dieses Handwerk überall gebraucht.“ In Tananarive stellte er sich beim nächstbesten Uhrmacher vor: „Der konnte sein Glück kaum fassen, dass mitten im Krieg ein derart qualifizierter Fachmann auftauchte.“ Die zwei Jahre auf Madagaskar zählte Antranig zeitlebens zu seinen glücklichsten. Kurioserweise unterhält heute Jerewan eine Partnerschaft mit Antananarivo.
Gruppenbild ohne Herren: In der Familie Amiralian in Marasch haben fast nur Frauen und Kinder die Pogrome von 1895 überlebt. Vorne in der Mitte Osanna, die spätere Mutter von Frieda Knadjian. Eine Aufnahme von 1897. |
Der Hof-Uhrmacher des Kaisers
Nachdem Haile Selassie wieder die Macht übernommen hatte, kehrte Antranig 1943 nach Addis zurück. Der Kaiser trug ihm an, sein Hoflieferant zu werden. „Er hatte eine Schwäche für Uhren“, erinnert sich Vartkess. Jeder Staatsbesuch bekam eine Uhr überreicht – „Herr Knadjian, eine Patek Philippe für Madame de Gaulle!“ Umgekehrt erhielt der Kaiser auch selbst viele Uhren geschenkt. „Die bewahrte er in allen Ecken des Palastes auf. Mein Vater prüfte alle paar Wochen, ob sie auch funktionierten. Einige Male habe ich ihn bei diesem Ritual begleitet.“ Auch die Uhr auf dem Turm des Parlaments wurde von Antranig betreut.
1950 ging er in Beirut auf Brautschau. Bekannte führten ihn bei guten Familien ein, doch deren Töchter sagten ihm nicht zu. Da sah er vom Hotel aus im Nachbarhaus ein Mädchen, das ihm gefiel. Bald schon hielt er um ihre Hand an und brachte sie nach Addis.
Frieda Helvadjian war 1929 in Jerusalem zur Welt gekommen. Ihre Eltern waren beide als Waisenkinder aufgewachsen, nachdem ein Großteil ihrer Familien den Massakern von 1895 zum Opfer gefallen war. Ihre Mutter Osanna stammte aus Maraş, wo sie die Greuel während des Ersten Weltkrieges im Schutz des dortigen deutschen Krankenhauses und einer amerikanischen Missionsstation überlebt hatte. Nach dem Krieg war sie mit ihrem Bruder nach Palästina gezogen, wo dieser eine Apotheke in Akkon eröffnete. Ihr Vater Artin wiederum war in der Schneller-Schule aufgewachsen, einem deutschen Waisenhaus in Jerusalem. So kam sie auch zu ihrem deutschen Namen. Da Artin nicht gut Armenisch sprach, unterhielt er sich mit Osanna auf Türkisch und mit Frieda auf Arabisch; außerdem sprach er Deutsch.
1946 lebte Frieda Knadjian mit ihren Eltern Artin and Osanna Helvadjian in Palästina. |
Ende 1947 brach der Palästinakrieg aus. Als die Lage unhaltbar wurde, floh die Familie in einem Auto nach Beirut. Sie konnten nur persönliche Dinge mitnehmen sowie ein paar persische Teppiche. Unterwegs wurde der Wagen beschossen – und die Teppiche retteten ihnen das Leben. In Beirut half ihnen die armenische Gemeinde, sich ein neues Leben aufzubauen. Frieda wurde Kindergärtnerin, unterrichtete Musik und Zeichnen. Bis Antranig sie vom Fleck weg heiratete und nach Äthiopien brachte.
Die Taufe von Vartkess Knadjian in der armenischen Kirche in Addis Abeba. Pater Guverherian stand der Gemeinde über Jahrzehnte hinweg vor. |
Unter die Räuber gefallen
Vartkess kam 1955 in Addis Abeba zur Welt und wuchs wohlbehütet auf. Als er zwölf Jahre war, schickte der Vater ihn auf ein britisches Internat in Bath. Dort hatte Haile Selassie Ende der dreißiger Jahre sein Exil verbracht; seither bestanden Verbindungen nach Äthiopien.
Nach dem Abschluss studierte Vartkess an der London School of Economics, um das väterliche Geschäft fortführen zu können. „Ich wollte unbedingt nach Äthiopien zurück, wir liebten es.“ Doch nach der kommunistischen Machtübernahme 1975 wurde die Familie komplett enteignet. Die Eltern zogen nach Toronto, wo Antranig sich als „Uhrendoktor“ in einem Kaufhaus über Wasser hielt. „Er trug es wie ein Mann“, erinnert sein Sohn sich anerkennend. Im Rückblick erscheint ihm Unbeständigkeit als das einzig Beständige im Leben: „Meine Urgroßmutter verlor ihr Hab und Gut im Osmanischen Reich, meine Großmutter in Palästina, und meine Mutter in Äthiopien. Manchmal beneide ich Menschen, die wie selbstverständlich in dem Haus aufwachsen, in dem schon ihre Vorfahren lebten. Die nicht immer wieder von vorne anfangen müssen.“
Antranig Knadjian im Jahr 1955 mit Haile Selassie. |
Doch ihre äthiopischen Verbindungen bewährten sich ein letztes Mal: der Enkel eines früheren britischen Botschafters, dessen Taufpate kein geringerer als Haile Selassie gewesen war, führte Vartkess bei einem Diamantenhändler ein. Ihm gehörte unter anderem Backes & Strauss, die älteste Diamantenfirma der Welt, 1789 in Hanau gegründet. In Antwerpen lernte Vartkess dann alles über diese abgeschirmte Branche. „In dieser Welt herrschen eigene Regeln, und ihre Mitglieder vertrauen einander, weil oft schon ihre Väter oder Großväter Geschäfte miteinander tätigten.“
Zu Gesprächen über den Fortbestand der Diamantenschleiferei in Armenien traf Vartkess Knadjian mit dem damaligen Premierminister Tigran Sargsyan und Staatspräsident Serzh Sargsyan zusammen. |
Vartkess wurde leitender Mitarbeiter bei Backes & Strauss; unter seiner Führung übernahm das Management die Firma schließlich ganz. Mittlerweile stellen sie vor allem exklusive, diamantenbewehrte Uhren her – hochkarätige Chronometer, an denen Haile Selassie seine helle Freude gehabt hätte. Mit Firmensitz in Genf und London führt er so das Metier des Vaters fort. Als Mitbegründer der Vereinigung armenischer Juweliere (AJA) leistet er auch seit vielen Jahren Aufbauarbeit in Jerewan. Es ist bezeichnend, dass er als Armenier ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstein an den Tag legt, und dass Kontinuität sowohl für das Selbstverständnis wie für das Image von Backes & Strauss von zentraler Bedeutung sind. Auch Geschichte ist ein Wert.