Vahan Kololian ist geschäftsführender Gesellschafter und Gründer der in Kanada ansässigen Private-Equity-Investmentfirma TerraNova Partners LP und Mitbegründer des Mosaic Institute, einer Expertenkommission, die sich weltweit für Frieden und Konfliktlösung einsetzt. Er möchte seine Dankbarkeit gegenüber gütigen Fremden und Ländern zum Ausdruck bringen, die seit 1915 Armenier bei sich willkommen geheißen haben.
Kololians lange Reise begann im ägyptischen Kairo, wo er 1953 zur Welt kam. Seine Familie war nach Ägypten geflohen zur Zeit des Völkermordes an den Armeniern, der auf Geheiß der jungtürkischen Führung im Osmanischen Reich im Gange war.
Eine hektische Flucht
Im Jahr 1915 arbeitete Kololians Urgroßvater mütterlicherseits Hovhannes Tavitian in Deutschland für die Bagdadbahn. Als die Nachrichten über die Massaker ihn erreichten, eilte er nach Hause ins zentralanatolische Talas, um seiner Familie zu helfen.
Bei der Ankuft wird er zusammen mit 52 seiner Landsleute festgenommen und eingesperrt. Sie wurden alle gehängt.
„Natürlich waren seine Frau und meine Urgroßmutter Isgouhi Tavitian am Boden zerstört“, sagt Kololian. „Doch zum Trauern blieb keine Zeit. Isgouhi übernahm die Verantwortung und führte sie tatsächlich nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul.“
Bald darauf zogen sie weiter nach Smyrna, dem heutigen Izmir an der türkischen Ägäisküste. Dort nahm Isgouhi eine Stelle als Oberschwester in einem türkischen Militärkrankenhaus an. „Können Sie sich vorstellen, Soldaten zu pflegen, die dem Regime angehören, das den eigenen Ehemann umgebracht hat? Es zeigt, wozu sich die Menschen genötigt sahen, um zu überleben“, sagt Armenouhi Kololian, Vahans Mutter. „Es zeigt aber auch die Menschlichkeit beider Seiten“, sagt Vahan. „Der Völkermord geschah auf Geheiß der damaligen Regierung und es wäre falsch, der türkischen Zivilgesellschaft heute die Schuld daran zu geben.“
Der Weg nach Kairo
Die Familie blieb einige Jahre in Smyrna, wo es relativ ruhig zuging. Von Mai 1919 an stand die Stadt unter Kontrolle der Griechen und bot Tausenden armenischer Flüchtlinge aus allen Teilen des Osmanischen Reiches Schutz. Doch das Grauen sollte sie auch hier einholen. Im September 1922 nahm die türkische Armee die Stadt ein und brannte die christlichen Viertel nieder in der Absicht, die griechische und armenische Bevölkerung auszulöschen. Beinahe 100.000 Einwohner kamen ums Leben.
Isgouhi bewies einmal mehr großen Mut. Nachdem sie sich mit einigen Führern der türkischen Gemeinschaft angefreundet hatte, überzeugte sie diese, ihre Familie an Bord eines amerikanischen Schiffes gehen zu lassen, das sie zunächst auf die griechische Insel Korfu und später ins sichere Ägypten brachte.
„Unsere besondere Dankbarkeit dafür gilt Henry Morgenthau“, glaubt Kololian. „Er war der ehemalige amerikanische Botschafter im Osmanischen Reich und nutzte seinen Einfluss, um bei der Evakuierung der Armenier aus der Türkei zu helfen.“ Darüber hinaus stellte Morgenthau humanitäre Hilfe für die Überlebenden bereit und war federführend bei ihrer anschließenden Umsiedlung nach Griechenland.
Inmitten der chaotischen Flucht wurde die Familie auseinandergerissen: Kololians Großonkel Hagop verschlug es nach Griechenland, während sich alle anderen in Kairo wiederfanden. Hagop lebte mehr als ein Jahr in Griechenland, ohne zu wissen, ob der Rest seiner Familie noch am Leben war.
„Nach all den Schrecken muss es furchtbar gewesen sein, eine erneute Trennung von der Familie zu ertragen. Isgouhi jedoch gab nie auf. Sie schrieb an jede armenische Kirche im Mittelmeerraum. Schließlich entdeckte Hagop eine ihrer Suchanzeigen und es kam zu einer tränenreichen Wiedervereinigung mit seiner Familie in Kairo.“
Der Weg in die Freiheit
Kololians andere Vorfahren mütterlicherseits mussten auch vor dem Völkermord fliehen. Sein Großvater Hagop Artinian verließ im Alter von 16 Jahren Aintab, das heutige Gaziaintep im Südosten der Türkei, nachdem sein Vater von den Osmanen ermordet worden war. Zusammen mit seiner Mutter und zwei Brüdern wanderte er durch die Wüste nach Syrien, bevor die Familie schließlich Ägypten erreichte. Kololians Großeltern väterlicherseits nahmen praktisch dieselbe Route. Zusammen mit der jungen Parentzem, die später seine Frau werden sollte, floh sein Großvater und Namensvetter Vahan Kololian von Talas nach Konstantinopel und weiter nach Ägypten. „Beide Seiten meiner Familie verschlug es nach Kairo. Meine Eltern und meine Generation kamen in Ägypten zur Welt.“
Erneut auf der Flucht
Kairo sollte sich als vorrübergehendes Zuhause herausstellen. Als eine autoritäre Regierung in den 50er-Jahren in Ägypten an die Macht kam, wuchsen die Sorgen in der armenischen Bevölkerung. Die Familie beschloss auszuwandern. Kololian war zu der Zeit gerade acht, seine Schwester vier Jahre alt.
„Als meine Eltern beschlossen, Ägypten zu verlassen, war das eine mutige Entscheidung“, erinnert er sich.
„Mein Vater Kevork Kololian hatte einen erfolgreichen Herstellungsbetrieb in Kairo aufgebaut, aber er wusste, für uns alle würde es im Westen eine bessere Zukunft geben. Im Jahr 1962 erhielten sie kanadische Visa und sechs Monate später machten wir uns auf den Weg.“
Mitglieder der Armenischen Gemeinde, einschließlich Vahans Mutter und Vater. Das Bild zeigt den ehemaligen Premierminister von Kanada Pierre Trudeau mit einem Teppich gewebt von kanadischen Armeniern. Der Teppich ist bestickt mit Worten aus der kanadischen Nationalhymne.
Eine bessere Zukunft
Alles ihnen Vertraute hinter sich zu lassen, das muss beängstigend gewesen sein für meine Familie, dennoch lebte sie sich rasch in Kanada ein. „Meine Eltern Kevork und Armenouhi machten aus der ganzen Reise ein großes Abenteuer für meine Schwester Nairy und mich. Das war eine unglaubliche Leistung von ihnen“, erinnert sich Kololian.
„Alle waren so freundlich, dass wir uns gleich wie zu Hause fühlten“, erinnert sich Vahans Mutter Armenouhi. „Das Einzige, was uns doch ein paar Schwierigkeiten bereitete, waren das Klima und die Sprache. Vahan sprach kein Englisch, aber unsere Nachbarn und seine Lehrer waren ihm beim Erwerb der Sprache eine große Hilfe.“
Seit ihrer Ankunft und Integration zeichnet sich die Geschichte der Kololians durch harte Arbeit und beinahe ununterbrochenen Erfolg aus.
Vahans Eltern gründeten erneut einen kleinen Herstellungsbetrieb, der wuchs und der Familie neue Möglichkeiten bot. „Mein Vater Kevork war ein wahrhafter Unternehmer. Mit kaum Geld in der Tasche und einer jungen Familie kam er nach Kanada, dennoch ging er das Risiko ein und eröffnete eine Firma für Komponentenbau. Meine Mutter trug durch Französischunterricht zum Einkommen bei und erledigte nachts die Buchhaltung“, sagt Vahan voll Bewunderung. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität von Ottawa und ist erfolgreich im Bereich Finanzen und Investment.
Kololian ist entschlossen, aus der traurigen Geschichte seiner Heimat ein positives Vermächtnis zu machen.
„Ich möchte Kanada meine Dankbarkeit ausdrücken und meinen Eltern, die sich für Kanada entschieden haben. Ein Großteil meiner Leidenschaft gilt dem Mosaic Institute, meinem zur Heimat gewordenen Kanada und dem Dienst an der armenischen Sache. Ich betreue einige Gemeinschaftsprojekte, die mich zwei oder drei Mal im Jahr nach Armenien führen.“ Zu diesen zählen das Forschungsprojekt „The Depopulation Crisis of Armenia (Die armenische Entvölkerungskrise)“ und das erst vor kurzem gegründete „Gyumri Project Hope“. Kololian steht als Gründer hinter beiden Initiativen.
„Der vom osmanischen Regime verübte Völkermord ist allgegenwärtig“, sagt er mit Nachdruck. „Und das Bedürfnis unter jungen Armeniern, unsere Geschichte zu teilen und unsere Kultur zu bewahren, wird immer sehr stark ausgeprägt sein. Deshalb wollte ich unbedingt dem türkischen Schriftsteller Ragip Zarakolu helfen, Morgenthaus Memoiren ins Türkische zu übersetzen. Jetzt da sich die Türkei öffnet, ist die neue Generation auf der Suche nach mehr Wissen über die Vergangenheit ihres Landes. Solche Veröffentlichungen dienen einem wichtigen Zweck.“
„Aber wir dürfen uns nicht von der Geschichte definieren lassen. Armenier sind mehr als das. Wenn wir uns durch den Völkermord auf ewig in die Rolle des Opfers drängen lassen, wird uns das in der Zukunft nur im Wege stehen. Ich will unser Armenien gedeihen sehen. Ich bin Teil einer Kampagne, die die Türkei dazu bewegen will, die Grenze zu Armenien zu öffnen, dem letzten Stück des Eisernen Vorhangs, das noch steht. Sollte ich dabei noch einige türkische Freunde gewinnen, umso besser.“
Die Geschichte wurde vom Forschungsteam der Initiative 100 LIVES verifiziert.