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Ralph Yirikian

Ralph Yirikian

Der in Beirut geborene und aufgewachsene Ralph Yirikian leitete 17 Jahre lang (2005-2022) den in Armenien führenden Mobilfunkanbieter Viva-MTS. Nach einem geschäftlichen Aufenthalt in Armenien, der ursprünglich sechs Monate dauern sollte, blieb er und lebt seit nunmehr vierzehn Jahren im Land. Er glaubt, die Entscheidung nach Armenien zu ziehen sei die beste gewesen, die er seit seiner Heirat getroffen habe.
 

„Im Libanon fühlte ich mich mehr wie ein Armenier, ich fragte mich jedoch unentwegt, ob ich mich überhaupt als Armenier hätte fühlen sollen oder doch als Libanese. Immer wieder wollte ich von meinen Freunden wissen: ‚Soll ich den libanesischen Unabhängigkeitstag feiern oder den 28. Mai, den Unabhängigkeitstag der ersten armenischen Republik?‘“, sagt er.

Von Adana nach Beirut

„Die Großeltern meines Vaters Haroutiun Yirikian und Siroun Adalian kamen beide in Adana zur Welt. Sie heirateten und bekamen vier Kinder: Cesar, der jung starb, meinen Großvater Martiros, Ludwig und Yeranouhi. Haroutiun war Kaufmann“, sagt Ralph Yirikian.

 

Haroutiun Yirikian und Siroun Adalian mit ihren Kindern (v.l.n.r.): Yeranouhi, Ludwig und Martiros 1906 in Adana.
 

Adana liegt in Südanatolien und hatte Anfang des 20. Jahrhunderts ungefähr 45.000 Einwohner, von denen etwa 13.000 armenischer Abstammung waren. Es gab armenische Kirchen, Schulen und Kindergärten. Bereits ein Jahr nach Machtantritt der Jungtürken im April 1909 kam es zu ersten Massakern in der Großprovinz Adana. Ungefähr 20.000 Menschen wurden getötet und armenische Dörfer und Stadtteile dem Erdboden gleichgemacht.

Der Familie Yirikian gelang die Flucht ins relativ sichere Aleppo.

„In Aleppo musste sich Haroutiun bei der Müllabfuhr verdingen, um seine Familie zu ernähren. Bei dieser Arbeit zog er sich eine ansteckende Krankheit zu, an der er schließlich starb. Seine Frau Siroun folgte ihm nur drei Tage später ins Grab und die Kinder kamen in ein Waisenhaus in ihrer Heimat Adana“, erinnert sich Ralph Yirikian. 

Im Jahr 1915 begann der organisierte Völkermord. Wer nicht gleich an Ort und Stelle getötet wurde, musste sich mit der großen Masse der Armenier auf Todesmärsche in die Syrische Wüste begeben. Wie Tausende ihrer Leidensgenossen auch gelangten die drei Waisenkinder so nach Aleppo. 

 

In Aleppo wurde Martiros von einem Verwandten seiner Urgroßmutter entdeckt und mitgenommen, doch er wollte unbedingt zurück und seine Geschwister finden. Man brachte ihn in ein Waisenhaus, in dem seine Geschwister bereits untergekommen waren. Einige Zeit später schickte man die Kinder in den Libanon und brachte sie dort in einem armenischen Waisenhaus unter, wo sie aufwuchsen. Martiros diente schließlich in der Ostlegion der französischen Armee, die Anfang 1918 in armenische Legion umbenannt wurde. Ludwig zog unterdessen nach Damaskus, lebte dort in einem armenischen Umfeld und heiratete eine Armenierin, mit der er eine Familie gründete: Sie bekamen drei Söhne und eine Tochter. Yeranouhi heiratete auch und lebte in Beirut. 

Martiros ließ sich letztlich in einem Vorort Beiruts ohne armenische Gemeinde nieder und heiratete eine Libanesin.

 

                                                    Ralph Yirikians Großeltern Martiros und Aniseh.
 

„Der arabische Name meiner Großmutter lautete Aniseh. Ich habe keine Erinnerung an sie, denn sie starb, als ich gerade elf Jahre alt war. Doch ich erinnere mich an meinen Großvater: ein schlanker, großer Mann wie ich, alt, der Rücken leicht gekrümmt, weswegen er nicht ohne Stock gehen konnte. Er war äußerst schweigsam. Armenisch sprach er nur schlecht, denn die Sprache war ihm fremd geworden. Er muss die Sprache seiner Kindheit früher einmal beherrscht haben, doch sprechen wollte er sie nicht. Wann immer seine Enkel, meine Brüder und ich, sie sprachen, bereitete ihm dies sichtlich Freude und er fügte ein paar Worte hinzu, um dann gleich wieder ins Arabische zu verfallen. Ich nehme an, er hatte Angst, eine Art psychologischen Schock, den man wohl nie im Leben ganz verwindet“, erinnert sich Ralph Yirikian.

Martiros hat drei Kinder: Georgette, Siroun und Cesar, Ralphs Vater.

 

                                       Martiros Yirikian mit seinen Kindern: Cesar, Siroun und Georgette.
 

„Mein Vater wuchs auf in einer Umgebung, in der man kein Armenisch sprach. Er heiratete sogar eine Nicht-Armenierin, doch gerade der Beitrag meiner Mutter zur Pflege unserer armenischen Wurzeln ist groß“, sagt er. Cesar und Emily Yirikian bekamen vier Kinder: Pierre, Paul, Mirelle und Ralph.   

„Meine Mutter sah, wie sehr unser Vater darunter litt, nicht richtig Armenisch sprechen zu können. Deshalb tat sie alles in ihrer Macht stehende, dass uns Kindern dieses Schicksal erspart bliebe. Sie hätten uns auf eine arabische Schule schicken können, doch sie entschieden sich für eine armenische“, sagt Ralph Yirikian.

 

  Cesar und Emily Yirikians vier Kinder: Ralph in der Mitte, links und rechts die Zwillingsbrüder, vor ihm die Schwester.
 

Ralph Yirikian besucht oft seine Eltern in Beirut, wenn Familienfeste anstehen. Er sagt, seine Tanten sprächen auch kein Armenisch, sähen sich selbst aber als Armenierinnen. „Mein Vater ist jetzt 79 Jahre alt und bei meinem letzten Besuch zeigte er mir einige armenische Wörter in arabischer Schrift. In seinem Alter versucht er nun, Armenisch zu lernen.“

„Die beste Entscheidung meines Lebens“

„Zur Welt kam ich in Beirut und bin zur Hälfte Libanese, doch groß wurde ich in einer durch und durch armenischen Umgebung, von den Schulen über die Vereine bis hin zu den Spielen, die wir spielten. Vom ersten Jahr im Kindergarten bis zum letzten Jahr in der Schule wurde uns beigebracht, wie schön Armenien sei. In unseren Köpfen entstanden traumhafte Bilder von dem Land, seiner Geschichte, seinen Landschaften, seiner Sprache“, sagt Ralph Yirikian.

Im Jahr 2001 besuchte er Armenien zum ersten Mal. Im Rahmen einer Geschäftsreise im Auftrag des libanesischen Mobilfunkanbieters LibanCell reiste er in die Region Berg-Karabach. „Ich erlitt einen Kulturschock. Mein Gehirn versuchte zu verarbeiten, was meine Augen sahen. Doch das wollte mir nicht richtig gelingen, denn ich konnte das Gesehene nicht in Einklang bringen mit dem, was ich gelernt hatte. Wie das sowjetische Armenien aussah, das hatte man uns nicht beigebracht“, erinnert sich Ralph Yirikian. 

Seine nächste Geschäftsreise nach Armenien hätte sechs Monate dauern sollen. „Ich sagte, ich hätte eine Bedingung, nämlich die, dass ich nicht ohne meine Familie dorthin ziehen würde. Ich ging nach Hause, um mit meiner Frau darüber zu reden. Es dauerte keine fünf Minuten und die Entscheidung war gefallen: Wir würden umziehen. Ich bin überzeugt, dass es die beste  Entscheidung war, die wir als Ehepaar je getroffen haben. Aus sechs Monaten sind vierzehn Jahre geworden.“

 

                                Ralph Yirikian mit Ehefrau Armik und den beiden Kindern Sarin und Narek. 
 

Im Jahr 2005 wurde Ralph Yirikian Geschäftsführer des Mobilfunkanbieters VivaCell-MTS. Unter seiner Führung gelang es dem Unternehmen, den armenischen Markt für Telekommunikation umzugestalten. Durch die Umsetzung einer Reihe von innovativen Lösungen konnte das Unternehmen nicht nur die  Angebotspalette für armenische Kunden deutlich erweitern, sondern auch mit gutem Beispiel für Unternehmensverantwortung vorangehen: Seit vielen Jahren investiert VivaCell-MTS große Summen in Umwelt, Gesellschaft und Kultur. 

„Wenn wir eine gesunde und gut ausgebildete Generation in 20 oder auch 50 Jahren wollen, müssen wir jetzt die Grundlagen dafür schaffen. Wir sollten uns auf die Gebiete Gesundheitsfürsorge, Bildung, Umwelt und Kultur konzentrieren“, glaubt Ralph Yirikian. 

Der erfolgreiche Geschäftsführer hat auch das Museum-Institut des Völkermordes an den Armeniern beim Ankauf wertvoller Dokumente und Artefakte unterstützt. Seinen Bemühungen ist es zu verdanken, dass im Laufe der Jahre eine Reihe von Ausstellungsstücken auf internationalen Auktionen erworben und als Beweis für den Völkermord an das Museum-Institut übergeben werden konnten.

„Ich lebe nicht in der Vergangenheit, doch um unseren Kindern ein friedliches und sicheres Leben bieten zu können, müssen wir heute für Gerechtigkeit sorgen. Jeder Armenier sollte es als seine Pflicht betrachten, Teil dieses Prozesses zu sein, indem er unseren gefallenen Vorfahren Tribut zollt. Das ist eine persönliche Verantwortung gegenüber meiner Familie“, sagt Ralph Yirikian.

Für ihn ist Armenien seine Heimat im Hier und Jetzt und kein historisches, kulturelles und religiöses Zentrum aus längst vergangener Zeit mit einer atemberaubenden Landschaft, einer einzigartigen geographischen Lage, reiner Luft und kristallklarem Wasser. „Wir haben in den 24 Jahren seit der Unabhängigkeit viel geschafft. Es hat viele Jahrhunderte gebraucht, um an diesen Punkt zu kommen. Entwicklung braucht seine Zeit“, sagt Ralph Yirikian. „Wir müssen einfach mit Zuversicht in die Zukunft blicken und konstruktive Lösungen finden, damit wir am Ende als Gewinner da stehen. Zu meinen Kindern und auch allen anderen sage ich, dass wir an unsere Fähigkeiten glauben sollten.“

Die Geschichte wurde verifiziert vom Forschungsteam der Initiative 100 LIVES.