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Ruben Vardanyan

Ruben Vardanyan

“Ich bin noch nie hier gewesen. Es ist für mich ein sehr emotionaler Moment”, sagt Ruben Vardanyan, als er zusammen mit seiner Schwester ein langes, grau-braunes Schulgebäude aus Backstein außerhalb von Jerewan betritt. Es ist so, als würde sich die Zeit zurückdrehen. 
 

Der tiefgelegene Bau befindet sich gegenüber der Kathedrale von Edschmiatsin, dem religiösen Zentrum der Armenisch-Apostolischen Kirche. Die Korridore des Gebäudes sind mit den schwarzen und purpurfarbenen Vorhängen der Geistlichen gesäumt. Zu jeder Stunde durchdringen die Chorgesänge die Luft.   

Ein hundert Jahre später haben die spirituellen Gesänge die einst in diesem Gebäude gesungenen Lieder ersetzt. Das sanfte Summen der Kinder – der Waisenkinder, die ihre Eltern während des Genozids an den Armeniern verloren. Vardanyans Großvater Hamayak war eines von ihnen. 

 

Hamayak Vardanyan, Rubens Großvater

 

„Sein Vater und seine zwei Brüder wurden während des Genozids ermordet. Er war acht Jahre alt und floh zu Fuß aus Archesh, das damals in der Provinz Van des Osmanischen Reiches lag. Sie waren dort zur Welt gekommen und aufgewachsen. Er floh mit seiner Mutter und anderen Familienangehörigen nach Norden, aber wenige Tage vor der Ankunft im östlichen Armenien starben seine Mutter und Schwester“, erklärt Vardanyan.

Achtjährig, ohne Familie, ohne ein Zuhause, das er sein Eigen nennen durfte, wurde Hamayak in ein Waisenhaus gebracht, das der Hilfsorganisation Near East Relief gehörte. Die amerikanische Wohltätigkeitsorganisation sammelte damals mehrere Millionen Dollar für die Opfer des Genozids. 

Heute gehört Ruben Vardanyan zu den wenigen Armeniern, die in Armenien geboren wurden und die meiste Zeit ihres Lebens dort verbringen, um ihre Heimat nachhaltig aufzubauen. Ähnlich wie bei Iren und Juden leben mehr Armenier außerhalb der Grenzen ihres Heimatlandes als innerhalb.

Ruben Vardanyan ist heute ein erfolgreicher Unternehmer und wünscht sich eine erfolgreiche Zukunft auch für Armenien.

Im späten Jugendalter ging Vardanyan nach Moskau, nachdem er als Jahrgangsbester die Schule abschloss und einen Studienplatz an der prestigeträchtigen Staatlichen Universität Moskau erhielt. Im gerade unabhängig gewordenen Russland ergriff er die Möglichkeit einer Karriere im Finanzwesen und wurde eines der Gründungsmitglieder einer der erfolgreichsten Investmentbanken Russlands.   

Als er bis in die frühen Morgenstunden an M&A-Transaktionen und IPOs arbeitete, sah er, wie sein Heimatland an den Folgen des katastrophalen Erdbebens von 1988 litt, die wirtschaftlichen Blockade durch die Türkei, die Unruhen im Norden, als sich die ehemaligen Sowjetrepubliken von Moskau lossagten, und den Krieg mit dem Nachbarland Aserbaidschan. „Innerhalb einer Nacht fielen wir vom 20. Jahrhundert in das 17. Jahrhundert zurück. Wir mussten Holz, ja sogar Bücher zum Heizen nehmen, um den Winter zu überleben. Wir mussten um fünf Uhr morgens aufstehen und fünf Stunden in einer Schlange stehen, um Brot zu bekommen, um am Leben zu bleiben.“ Als das Land anfing, sich langsam wieder aufzubauen, dachte Vardanyan, dass es nicht genüge, Zuschauer zu sein, und dass es Zeit sei, tätig zu werden.

Mit einer internationalen Karriere und Erziehung und der Erfahrung, einige der größten Unternehmen der Welt beraten zu haben, ist es nicht verwunderlich, wenn sich Vardanyan fühlt, als habe er „schon vier Leben gelebt“. Nun stehe das fünfte, das wichtigste Leben bevor.

Alles begann vor einem Jahrzehnt. Vardanyan lernte während seiner Studienzeit in Harvard Noubar Afeyan kennen. Noubar Afeyan ist ein erfolgreicher Unternehmer armenischer Abstammung auf dem Gebiet der Biotechnologie. Die Gleichgesinnten beraten darüber, wie sie ihr unternehmerisches Know-how gemeinsam zum Wohle Armeniens einsetzen können. Hieraus entsteht die Initiative 100 LIVES als Ergebnis jahrelanger Beratungen, die in der Idee aufgeht, den 100. Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern zu nutzen, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf Armenien zu lenken und eine Veränderung zu bewirken. 

„Armenien ist zwar als unabhängige Republik nur 25 Jahre alt, aber als Volk und Nation hat es eine 5.000 Jahre alte Kultur und Geschichte. Darauf müssen wir aufbauen. Wir müssen uns von der Opferrolle verabschieden und in die Zukunft schauen.“ „Das ist schwierig. Es bedarf einer völligen Neuausrichtung unserer Denkweise. Noubar und ich möchten mit diesem Projekt Armenien und die Armenier dazu ermutigen, sich von der Sichtweise des Überlebens zu verabschieden und an die Prosperität zu glauben. Das mag eine revolutionäre Haltung sein, aber es ist eine Revolution aus einem ganz anderen Blickwinkel.“

„Wir wollen die Denkweise und Perspektive ändern“, sagt Vardanyan. 

Vardanyan versteht, dass man, um die Denkweise der Menschen zu verändern, großen Einsatz benötigt – in Form von Zeit und Glauben. Er widmet den größten Teil seiner Zeit der Initiative 100 LIVES und investiert in Armenien. Mit seiner Frau Veronika hat er 135 Millionen US-Dollar in die Gründung einer neuen Bildungseinrichtung United World Colleges investiert. Sie befindet sich in der Stadt Dilidschan, umgeben von den Bergen im Norden Armeniens. 

 

                                       Ruben Vardanyan mit seiner Frau Veronika Zonabend

 

Als Ruben das Gebäude, in welchem sein Großvater aufwuchs, verlässt, dreht sich Rubens Schwester Marina zu ihrem Bruder und sagt: „Das ist ein gutes Beispiel dafür, wenn jeder Mann oder jede Frau das tut, was er oder sie kann, dass die kleinen Taten sich zu einer großen Veränderung zu summieren.“ Vardanyan hofft, dass Armenier überall auf der Welt dasselbe fühlen und das Beste tun, was sie können.

 

                          Ruben Vardanyan mit seiner Schwester, der Komponistin Marine Ales


Die Geschichte wurde vom Forschungsteam der Initiative 100 LIVES verifiziert.