Seit vierzig Jahren schon sind in dem unscheinbaren Haus mit zwei Stockwerken im bekannten Nişantaşı-Viertel des Istanbuler Landkreises Şişli seltene Kunstsammlungen untergebracht. Werke bekannter Maler zieren die Wände, gelegentlich unterbrochen von seltenen Manuskripten. Auf dem großen Schild neben dem Eingang steht unübersehbar der Name Portakal: Nachname von Raffi, Sohn von Aret und Enkel von Yervant. In dritter Generation leitet er inzwischen das Haus der Kunst.
Raffi Portakal gehört heute zu den bekanntesten Auktionatoren und Kuratoren in der Türkei. Ererbt hat er diesen Beruf, ja dieses Leben zweifelsohne von seiner Familie. Bereits vor einem Jahrhundert gründete Großvater Yervant das Kunst- und Auktionshaus, damals noch als Laden mit Ausstellungsfläche im Großen Basar von Istanbul im Stadtteil Pera. Man schrieb das Jahr 1914. Bevor schließlich Enkel Raffi übernahm, führte Sohn Aret das Geschäft fort.
„Ich konnte mich glücklich schätzen, denn Großvater und Vater hatten sich bereits einen Namen gemacht: Kunstinteressierte kannten und schätzten den Namen Portakal. In dritter Generation bin ich nun im Geschäft: einem Geschäft, das nicht immer leicht war und ist. Wenn man bedenkt, dass unser Kunst- und Auktionshaus älter ist als die Republik, lässt sich erahnen, dass ein Bestehen auf diesem Markt nicht immer leicht gewesen sein kann“, erklärt Raffi Portakal.
Als er von seiner Familiengeschichte zu erzählen beginnt, fällt ihm als erstes der Name Hagop Kourken ein. Der Urgroßvater mütterlicherseits war Chorleiter und Redakteur, gründete eine Schule in Konstantinopel und verfasste mehrere Schriften. Als Verfechter der altarmenischen Sprachform Grabar wollte er diese an Schulen wiederbeleben. „Zum Auftakt des Völkermordes trieb man die Intellektuellen in Bolis – so der armenische Name der Stadt – zusammen und sperrte sie ein, unter ihnen auch mein Urgroßvater väterlicherseits. Zwar befand sich Hagop, der Urgroßvater mütterlicherseits nicht unter den Eingesperrten, dennoch starb er 1915.“
Aret Portakal versteigert 1974 die berühmte Sammlung von Satvet Lütfi Tozan. Raffi Portakal läuft durch die Menge und hält die Stücke hoch. |
Großvater Yervant kam 1883 in Konstantinopel zur Welt. 1914 sammelte er seine ersten Kunstwerke und versteigerte sie. Über dreißig Auktionen veranstaltete er in den prunkvollen Palästen des osmanischen Adels. „Einmal wollte Großmutter Bettwäsche in einem dieser Paläste kaufen. Großvater reagierte wütend und sagte zu ihr, sie solle tags darauf zur Auktion gehen, wenn sie die Bettwäsche haben wolle. Großvater selbst gab schließlich das höchste Gebot ab, um sie meiner Großmutter zu schenken“, erinnert sich Raffi Portakal.
Großmutter Vergine liebte klassische Musik. So erhielten die Töchter Ashkhen und Rita eine entsprechende Ausbildung und wurden später zu namhaften Größen in der armenischen Künstlerszene der Hauptstadt, während Sohn Aret das Kunst- und Auktionsgewerbe der Familie weiterführte.
Raffi Portakals Großmutter väterlicherseits Vergine (sitzend) mit ihren Kindern Aret, Ashkhen und Rita |
Mütterlicherseits stammte die Familie Raffi Portakals aus dem Schwarzmeerhafen Ordu im Nordosten der Türkei. Als man 1915 die Armenier überall im Osmanischen Reich zu deportieren begann, wollten die Großeltern ihre beiden Kinder schützen. Eines gaben sie in die Obhut einer türkischen, das andere in die Obhut einer griechischen Familie. Sie selbst flohen. Als geschickte Näherin brachte die Großmutter sich und ihren Mann Boghos Agha Evrensel durch. Nach der Ankunft im ostanatolischen Malatya arbeitete sie für die Frau des Bürgermeisters. Dort kamen auch ihre Zwillinge zur Welt, Raffis Mutter Manig und seine Tante Anahid. Als sich 1918 die anti-armenische Stimmung legte, zog die Familie zunächst nach Samsun und später zurück nach Ordu. Ihre beiden älteren Kinder, die sie hatten zurücklassen müssen, waren jedoch unauffindbar. Sie sahen sie nie wieder.
Nachdem die Mutter 1940 die Schule beendet hatte, wollte sie die Universität besuchen. Doch in Ordu gab es keine höheren Bildungseinrichtungen. Der Großvater erhörte schließlich die Bitten seiner Tochter und schickte sie auf die medizinische Fakultät des amerikanischen Krankenhauses in Istanbul.
Das Schicksal wollte es, dass Manig dank dieser Entscheidung ihren zukünftigen Mann Aret Ohanes kennenlernte, der dort wegen einer Typhuserkrankung in Behandlung war.
„Er wurde wieder gesund und wollte anschließend mit meiner Mutter ausgehen. Sie aber wies ihn ab und er musste sich etwas einfallen lassen. Er stellte sich krank und ließ sich ein zweites Mal einliefern, also ‚pflegte‘ meine Mutter ihn erneut. Diesmal lief es besser. Er stellte sie seiner Familie vor und sie fuhren nach Ordu zu der ihrigen. Dort bat er den Vater um die Hand der Tochter“, sagt der Sohn und lächelt. Nach der Hochzeit zog die gesamte Familie der Mutter nach Istanbul. In den folgenden Jahren zerstreute sie sich in alle Winde.
Raffi Portakals Großvater mütterlicherseits Boghos Agha mit seiner Familie in Ordu |
Raffi Portakal kam 1946 in Istanbul zur Welt und besuchte die Mechitaristen-Schule im Landkreis Şişli. Nach seinem Studium der Psychologie an der Universität seiner Heimatstadt ging er nach Paris, um sich als Auktionator fortzubilden. Zurück in Istanbul sammelte er nun an der Seite seines Vaters Kunst und versteigerte sie. „Mein Vater war selbst ein großer Künstler, nämlich in der Kunst des Versteigerns. Er brachte viele Besucher zum Staunen. Oft standen sie da, den Mund offen“, sagt Raffi Portakal voller Stolz.
1973 eröffnete er seine eigene Galerie. Er spezialisierte sich auf das Aufspüren und den Verkauf osmanischer Gemälde und Manuskripte. „Dass sie so selten und einzigartig waren, machte ihren besonderen Reiz aus. Was damals für 100.000 Dollar oder höchstens das Doppelte den Besitzer wechselte, kostet heute ein Vielfaches. Die Preise waren geradezu lächerlich. Seitdem habe ich mir einen Namen in dem Geschäft gemacht.“
Raffi Portakal als Auktionator, Vater Aret assistiert |
2004 veranstaltete Raffi Portakal die erste Picasso-Ausstellung in der Türkei und vertieft seitdem seine Beziehungen zu europäischen Sammlern. Voller Stolz zeigt er Zeitungsartikel, die er ausgeschnitten und aufbewahrt hat. „Der hier ist aus Hürriyet, der größten Tageszeitung des Landes. Die Schlagzeile lautet ‚Picasso in Nişantaşı‘. Und hier heißt es ‚Picasso und ich‘“, sagt er. Auf Picasso folgten Monet, Renoir, Dali und weitere weltberühmte Maler.
Raffi Portakal ist auch der verantwortliche Kopf hinter der Privatsammlung des bekannten türkischen Tycoons und Philanthropen Sakip Sabanci. Ausgestellt wurde sie bereits im Metropolitan Museum of Art in New York, dem Pariser Louvre, dem deutschen Guggenheim-Museum in Berlin und vielen weiteren Museen von Rang und Namen. Auch einer Gruppe, die die Sammlung des Armenischen Patriarchen von Konstantinopel zeigte, stand Raffi Portakal schon vor. Er sagt über sich selbst, er habe schon immer eine Schwäche für armenische Künstler gehabt. Besonders angetan habe es ihm Iwan Aiwasowski, dessen Werke er gelegentlich in seinem eigenen Kunst- und Auktionshaus ausstelle. „Aiwasowski war schon immer ein Höhepunkt für unsere Familie, ein Idol. Ich war noch ein Junge, als mir mein Vater die Einzigartigkeit dieses Malers näherbrachte.“
Raffi Portakal mit Tochter Maya |
Mindestens zweimal im Jahr wird zur Auktion geladen. „Der Name unseres Hauses soll mit jedem Mal an Ansehen gewinnen. Die Besucher sollen die Möglichkeit bekommen, hochwertige Stücke bei uns zu betrachten oder zu ersteigern, die so einzigartig sind, dass man sie sonst nirgends findet. Unserer Familie war Ansehen schon immer wichtiger als Geld. So will es der ungeschriebene Familienkodex. Es hat schon etwas Zwanghaftes“, räumt Raffi Portakal ein. Ausstellungen und Versteigerungen sind das eine, doch daneben bringt das Kunst- und Auktionshaus auch zahlreiche Bücher und Kataloge heraus.
Heute führt Raffi Portakal das Familienunternehmen mit seinem einzigen Kind, Tochter Maya. Gemeinsam arbeiten sie an der Eröffnung kleinerer Galerien weltweit, um so einzigartige Kunststücke noch besser ausstellen zu können.
Was das Erfolgsrezept der Portakals ist? „Wir müssen stets am Puls der Zeit sein. Tun, was sonst keiner tut. Eine Vision haben. Mut und Gespür für den Zeitgeist. Ja, das ist es.“
Die Geschichte wurde verifiziert vom Forschungsteam der Initiative 100 LIVES.