Die erste Session der Aurora Dialogues 2016, moderiert vom Präsidenten des International Center for Transnational Justice, David Tolbert, und betitelt als “Der globale Status Quo humanitärer Probleme”, begann mit einer Präsentation der Ergebnisse des “Global Humanitarian Index.” Die Redner stimmten zu, dass es Zeit für einen Wandel auf der Welt sei, sowohl auf der Ebene von einzelnen Bürgern als auch der von Regierungen und internationalen Organisationen.
Die Redner glauben, dass ein Überwinden der heutigen Herausforderungen unmöglich sein werde, wenn man nicht die Rolle internationaler Strukturen auf der Welt hinterfrage. Laut Dr. Edward Luck, Direktor der International Conflict Resolution Specialization an der School of International and Public Affairs (SIPA) an der Columbia University, bestehe die dringende Notwendigkeit einer neuen rechtlichen Rahmensetzung, um Kriegsverbrechen und Gräueltaten zu verhindern. “Es geht um die Frage, wie man Völkermord und Kriegsverbrechen verhindern kann. Man konfrontiert Regierungen mit Dingen, von denen sie nichts hören wollen; man konfrontiert die Menschen mit Dingen, von denen sie nichts hören wollen. Das ist ein besonderer Bereich, der sich gut entwickelt, sich aber noch in einem Anfangsstadium befindet”, sagte er.
Rednerin Hina Jilani und Moderator David Tolbert |
Die ehemalige Sonderbeauftragte des UN-Generalsekretärs für Menschenrechtsaktivisten und Mitglied der Aurora-Preis-Auswahlkommission, Hina Jilani, glaubt, dass – der heute bestehenden Skepsis gegenüber den Vereinten Nationen zum Trotz – die Autorität der UN und ihr Mandat erneuert werden müssen. “Mitgliedsländer der UN versuchen manchmal mit der UN zu konkurrieren und sie zu schwächen, und ich denke, das ist ein Fehler. Wir brauchen eine zentrale Autorität, die Sinn ergibt und nicht von einem bestimmten Land dominiert wird. Die UN-Charta beginnt mit ‘Wir, die Völker’ und das ist schlussendlich nicht mehr der Fall. Wir müssen die UN den Menschen näher bringen, damit ihre Entscheidungen den Willen der Völker zu einem größeren Grad repräsentieren”, sagte sie vor dem Publikum.
Die Redner erinnerten das Publikum auch an die auf der heutigen Welt abspielenden Tragödien. Dr. Steven Luckert, der leitende Programmdirektor am Levine Institute for Holocaust Education, sagte, dass die Situation im Irak, dessen Regierung nicht der Lage ist, den jesidischen Bevölkerungsteil vor einem Genozid durch den IS zu beschützen, daran erinnere, was während dem Völkermord an den Armeniern im osmanischen Reich passiert sei.
Rednerin Dr. Shirin Ebadi |
Die iranische Menschrechtsanwältin und erster weiblicher Richter Irans, Nobelpreisträgerin Dr. Shirin Ebadi, schlug dem Publikum vor, einmal persönlich die Flüchtlingslager zu besuchen, um den desaströsen Zustand, in dem Millionen von Menschen leben, zu sehen. “Durchschnittlich fliehen jedes Jahr 6.000 Menschen aus dem Nahen Osten. Allein letztes Jahr sind etwa 500 Menschen auf dem Weg nach Europa ertrunken. Wenn nicht bald eine Lösung gefunden wird, wird diese humanitäre Krise viel schlimmer als die nach dem Zweiten Weltkrieg”, sagte sie.
Viele Flüchtlingslager hätten kein Wasser, geschweige denn Schulen. Das bedeute, eine ganze Generation an Analphabeten werde unter unhygienischen Bedingungen aufwachsen. "Sie haben keine andere Wahl als nach Europa und in die USA zu fliehen”, warnt Ebadi. Währenddessen, so die Menschenrechtsanwältin, nützten manche Staaten die Flüchtlingskrise als manipulatives Werkzeug, um in die Europäische Union zu kommen oder finanzielle Unterstützung zu erhalten. Anstatt europäische Länder um die Öffnung ihrer Grenzen zu bitten, müssten wir, so glaubt sie, denjenigen helfen, die in den Flüchtlingscamps leben. Sie beklagte auch die Tatenlosigkeit islamischer Staaten. “Katar ist eines der reichsten Länder hinsichtlich des Prokopfeinkommens, genauso wie Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate. Zwar brauchen sie Arbeiter, aber warum nehmen sie keine Flüchtlinge auf? Warum sind ihre Grenzen geschlossen? Weil sie befürchten, diese einbürgern zu müssen, sie wollen, dass Deutschland dies tut. Im gleichen Atemzug sprechen sie von islamischer Solidarität”, sagte sie.
Die Diskussionsteilnehmer |
Aber trotz der entscheidenden Rolle von Regierungen und internationalen Organisationen, waren sich die Redner einig, dass man die Rolle von Einzelpersonen nicht unterschätzen dürfe. Es sei nicht nur die Verantwortung der Regierung, Völkermorde zu verhindern und Flüchtlingen zu helfen, sondern auch die der Bürger, sagte Edward Luck. “Wir können die Opfer nicht darum bitten, auf ein neues Gesetz oder eine neue Organisation zu warten. Jede Person ist verantwortlich für das Schicksal anderer, nicht nur die Regierung”, wiederholte Hina Jilani.
“Wir sollten weniger über Intervention und mehr über Engagement nachdenken. Wir finden viele Fälle, in denen wir Regierungsvertreter einschalten können, und wir können die Zivilgesellschaft einschalten, falls der falsche Weg eingeschlagen wurde, falsche Entscheidungen getroffen wurden. Wir sind kurz davor, einen neuen Generalsekretär einzusetzen. Wir sollten ihnen sehr harte Fragen über ihre Position zur Wahrung der Menschenrechte stellen. Wir als Bürger, wo auch immer wir leben, müssen unsere politischen Anführer zur Rechenschaft ziehen. Wir brauchen Rechenschaftspflicht, nicht nur im Anschluss an die Tatsachen, sondern auch davor”, schloss Edward Luck ab.