Professor Dr. Garabed Antranikian ist ein international hoch geschätzter Mikrobiologe, ausgezeichnet mit dem höchstdotierten Umweltpreis Europas, dem Deutschen Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt. Er hat in der Entwicklung von umweltfreundlichen Technologien bahnbrechende Erfolge erzielt. Garabed Antranikian wurde in Jordanien geboren als Sohn von Überlebenden des Genozids.
Garabed Antranikian hat nicht viel mit seinem Vater gemeinsam, außer der Körpergröße, dem Fleiß und einem starken Willen. Er erzählt gerne und mit Leidenschaft, insbesondere wenn es um die Mikrobiologie geht. „Mein Vater hat wenig gesprochen, oft war er traurig und ich habe immer versucht herauszufinden, warum. Erst als ich etwas älter war, hat er mir einiges erzählt.“ Der Vater Josef Antranikian kommt 1907 in Sebastia (heute Sivas) zur Welt.
Sivas ist die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und liegt im heutigen Zentralanatolien. Heute wird die Stadt überwiegend von Muslimen bewohnt. Im Jahr 1914, vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, leben in Sebastia hauptsächlich Christen, insbesondere viele Armenier. Sie sind ständigen Übergriffen der Osmanen ausgesetzt, christliche Unternehmer und Händler der Stadt werden boykottiert und der Markt von Sebastia in Brand gesteckt. Doch die eigentlichen Massaker beginnen im Jahr 1915, als das sogenannte Deportationsgesetz verabschiedet wird.
Den Massakern in Sebastia fallen binnen weniger Wochen 5000 Armenier zum Opfer.
Josef ist acht Jahre alt, als er Augenzeuge brutaler Morde wird. Seine Familie wird erschossen und anschließend in der Kirche verbrannt. Er schafft es zu fliehen. „Er erzählte mir damals, dass sie in Sebastia ein großes Haus hatten und viele Geschwister. Er erinnerte sich an ihre Gesichter.“
In der Steppe findet Josef hier und da eine Unterkunft und wird von Unbekannten auf ihren Eseln mitgenommen. „Einmal sah er einen Bauernhof und der Bauer war ein Kurde, der sagte: ‚Du kannst bei mir bleiben und mir helfen, ich habe hier einen Schweinestall‘“, erzählt Garabed Antranikian. Josef bleibt eine Zeit lang bei ihm, jedoch wird er von den Soldaten entdeckt und in die Syrische Wüste deportiert, wo er zwei Jahre lang herumirrt, bis er 1917 in Jerusalem ankommt.
Katholisches Waisenhaus in Jerusalem, 1920er Jahre. Josef in der dritten Reihe von oben.
Josef in Jerusalem
Dort wird er in ein Waisenhaus aufgenommen und sein Leben nimmt allmählich einen normalen Lauf. Er geht in eine armenische Schule und beginnt anschließend eine Ausbildung zum katholischen Priester. Er lernt Französisch und wird für seine Leistungen ein Jahr nach Belgien geschickt. „Als er zurückkommt, lernt er meine Mutter kennen, da überlegt er es sich noch einmal mit dem Priesterwerden und heiratet sie schließlich“, erzählt Garabed Antranikian schmunzelnd.
Elisa aus Ajntab
Garabed Antranikians Mutter Elisa Shohmelian war in Ajntab, heutem Gaziantep im Süden der Türkei geboren. Auch sie hat ein trauriges Schicksal. „Die vier Brüder meiner Mutter wurden erschossen, ihre Eltern flohen auf Eseln nach Aleppo und dann nach Jerusalem, wo meine Mutter 1920 geboren wurde“, erzählt der Sohn.
In Jerusalem leben sich die Eltern schnell ein. Denn es entsteht allmählich eine starke armenische Gemeinde, die eine armenische Kirche mit armenischen Priestern und Patriarchen besitzt. Heute gehört ein Sechstel der Altstadt in Jerusalem den Armeniern.
„Die Sommerferien habe ich immer bei meinen Großeltern verbracht. Ich liebte diese Zeit. Im armenischen Viertel gab es auch viele Kinder in meinem Alter. Wir haben viel gespielt“, erinnert sich Garabed Antranikian. Zu dieser Zeit erweitert er seine Sprachkenntnisse um eine weitere Sprache, nämlich Türkisch. „Meine Großeltern haben vor ihrer Auswanderung in Ajntab gelebt und dort war es verboten, Armenisch zu sprechen. Sie mussten Türkisch reden und so habe auch ich bei ihnen Türkisch gelernt“, erklärt Garabed Antranikian.
Familienfoto: Mutter Elisa Shohmelian im Alter von 9 Jahren (zweite von links) in Jerusalem.
Heirat und Jordanien
1937 heiraten Josef und Elisa und bekommen eine Tochter. Sie nennen sie Aschchen. Fünf Jahre später kommt ihr zweites Kind Antranik zur Welt. In der Zwischenzeit hat Josef einen anderen Beruf erlernt. Er hat sich auf Polsterung spezialisiert. Das Leben in Jerusalem wird jedoch zunehmend schwerer und mit der Staatsgründung Israels 1948 herrscht bereits hohe Arbeitslosigkeit. „Mein Vater hat sich dann umgesehen und in Jordanien eine Arbeit gefunden“, erzählt Garabed Antranikian. In Jordanien bekommen sie ihr drittes Kind: Garabed.
Das Nähen und die Natur
Um ihrem Mann finanziell unter die Arme zu greifen, beginnt Elisa als Schneiderin zu arbeiten. Sie arbeitet unter anderem auch für die britische Botschaft. „Sie nähte ihnen Gardinen, Anzüge und alles, was es zu nähen gab. Sie ging morgens hin und nahm mich mit.“ So oft wie Garabed seiner Mutter beim Nähen zusieht, lernt er bald selbst nähen. „Ja, ich habe selbst Sachen genäht und sie in der Schule sogar verkauft“, erzählt Garabed Antranikian und fügt hinzu: „Wir hatten ja damals keine Spielsachen. Meine Spielsachen waren Nadel und Faden, und die Ameisen und Fliegen im Hof“, lacht er. „Ich habe zum Beispiel eine Fliege an einem Faden gebunden und wollte sehen, was passiert. Ich dachte, vielleicht fliege ich mit. Hat aber nicht geklappt.“ Seine Neugier auf Natur entdeckt Garabed Antranikian noch als Kind in Amman im Hof des kleinen Hauses, das sie zu fünft bewohnen.
Das Leben in Amman
Josef und Elisa bewohnen in Amman ein Betonhaus und teilen es sich mit einer kinderreichen muslimischen Familie. Bad und Küche sind draußen. „An kalten Tagen hat man es sich schon zweimal überlegt, ob man in die Küche oder auf die Toilette gehen soll“, erzählt Garabed Antranikian scherzhaft. Trotzdem empfindet er die Zeit als schön. „Abends haben wir Tee getrunken, Musik gehört und Karten gespielt. Wir hatten irgendwann in den 60er Jahren einen Fernseher. Di ganze Nachbarschaft kam zu uns trotz des schlechten Empfangs. Wir konnten nur einen Sender empfangen und guckten amüsiert Micky Mouse“, erinnert sich Garabed Antranikian.
Trotz ständiger Geldnot schaffen es Josef und Elisa, ihren drei Kindern eine Ausbildung zu geben. Aschchen wird Lehrerin in einer armenischen Schule, Antranik wird Mechaniker. Sie leben heute in Jordanien zusammen mit ihren Familien. Allein Garabed Antranikian zieht es in die Ferne und in die Wissenschaften.
Die Geschichte wurde vom Forschungsteam der Initiative 100 LIVES verifiziert.