Elise Boghossian, Mitglied der Aurora-Gemeinschaft, ist die Gründerin von EliseCare, einer Nichtregierungsorganisation für internationale Solidarität, die sich auf die Behandlung von Schmerzen spezialisiert hat. Ihr Hauptziel ist es, der in Konfliktgebieten lebenden Zivilbevölkerung medizinische Soforthilfe bereitzustellen. Neben anderen Ländern und ehemaligen Kriegsgebieten ist die Organisation auch in Arzach (Berg-Karabach) tätig.
– EliseCare ist dort, wo der Konflikt ist. Wo sind Sie derzeit tätig und was sind Ihre Hauptaktivitäten?
EliseCare ist derzeit im Irak, in Syrien, Äthiopien, im Libanon und in Armenien (Berg-Karabach) tätig. Sie leistet medizinische und psychologische Nothilfe für Überlebende des Krieges, Opfer von Gewalt und Folter, sexueller Sklaverei und Menschenhandel. So bieten wir beispielsweise jeden Monat mehr als 2.000 kostenlose Behandlungen im Irak durch unsere drei mobilen Kliniken an, mit denen wir an 30 abgelegenen Orten unterwegs sind. Des Weiteren verfügen wir über zwei stationäre Krankenstationen in der Nähe von Zakho und Erbil, die den Bewohnern dieser beiden Lager ständigen Zugang zur medizinischen Versorgung bieten. Wir kümmern uns auch um Straßenkinder und Kindersoldaten, vor allem im Irak.
– Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die NGO EliseCare zu gründen? Gab es dafür einen bestimmten Grund?
Ich habe die NGO EliseCare kurz vor dem hundertsten Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern gegründet, der 1915 von den Türken an den Armeniern verübt wurde. Das war im Jahr 2012, während des Syrienkonflikts. Meine armenischen Großeltern waren vor einem Jahrhundert nach Syrien deportiert worden. Ich konnte also nicht untätig dasitzen und mir die schrecklichen Bilder aus Syrien im Fernsehen ansehen. Damals ging ich zum ersten Mal in ein Kriegsgebiet, um zu helfen.
Von Tag zu Tag verschlechterte sich die Lage in Syrien, und 2014 wurde die Zahl der Vertriebenen und Flüchtlinge im Irak immer größer. Um das Problem zu lösen, dass diese Menschen so weit von medizinischen Versorgungszentren entfernt sind und der Zugang zur Gesundheitsversorgung für sie so schwierig ist, hat EliseCare mit alten Bussen mobile Kliniken eingerichtet. Diese Busse fahren von Ort zu Ort und bieten eine regelmäßige Versorgung in allen Fachbereichen an: Allgemeinmedizin, Gynäkologie, Pädiatrie, Chirurgie, Schwangerschaftskontrolle, Wochenbettbetreuung, psychische Betreuung, Schmerzbehandlung und Akupunktur.
– Sie sind seit fast einem Jahrzehnt in der humanitären Hilfe tätig. Wie haben sich die Herausforderungen in dieser Zeit verändert? Was sind gegenwärtig die wichtigsten Themen?
Heute befassen wir uns mit dem langfristigen Aspekt von Krisensituationen – die Verletzung der Rechte von Frauen und Kindern, sei es in Kriegsgebieten oder in Nachkriegssituationen, ist unsere neue Herausforderung bei den Programmen, die wir für Waisen oder weibliche Opfer von Verstümmelungen durchführen. Unser Programm „Survivors' Center“ wurde für Frauen und Kinder ins Leben gerufen, die in den von ISIS besetzten Gebieten Terror sowie physisches und psychisches Leid erfahren haben. Das Programm wird in unseren stationären Kliniken im Nordirak und in unseren mobilen Kliniken, die in der Provinz Duhok (Region Kurdistan) unterwegs sind, durchgeführt. Mit Teams aus Ärzten, Psychologen, Akupunkteuren und Gynäkologen arbeiten wir mit traumatisierten Menschen und bieten ihnen medizinische Betreuung, Psychotherapie und Therapien wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), Hypnose oder auch Yoga. Diese Arbeit der Heilung und der regelmäßigen Nachsorge ist sowohl für ihr körperliches Wohlbefinden als auch für ihre Moral unerlässlich.
– Als Organisation für Schmerzbehandlung ist EliseCare auch in Arzach (Berg-Karabach) tätig. Was sind Ihre Hauptaktivitäten in der Region?
Zwischen 2002 und 2011 bin ich regelmäßig nach Armenien und Berg-Karabach gereist, um der vom Krieg betroffenen Zivilbevölkerung zu helfen. Zunächst arbeitete ich in einem der Krankenhäuser in Jerewan, dann begann ich meine Arbeit direkt vor Ort in Berg-Karabach. Wie ich bereits erwähnt habe, gehört die Akupunktur zu den von uns angebotenen Behandlungen, und sie ist eine sehr wirksame Hilfe für die Kriegsverwundeten, insbesondere zur Linderung ihrer starken Schmerzen. Hier geht es um Schmerztherapie. Dies war eine unserer Hauptaktivitäten.
Das Wiederaufflammen der Feindseligkeiten in Berg-Karabach am 27. September 2020 und die Verschlechterung der humanitären Lage in den darauffolgenden Monaten veranlassten uns, unsere Aktivitäten in Berg-Karabach im Jahr 2020 wieder aufzunehmen und drei mobile Kliniken nach demselben Modell wie im Irak einzurichten. In Berg-Karabach sind wir also an den Frontlinien und in den Übergangszonen, in denen Armenier unter russischem Schutz leben, präsent. Leider gibt es in diesen sehr gefährlichen Regionen, in denen 30.000 Armenier leben, eine „medizinische Wüste“ (ein Begriff für Regionen, in denen die Bevölkerung keinen ausreichenden Zugang zur Gesundheitsversorgung hat – Aurora). Unsere mobilen Kliniken versorgen die in diesen Dörfern lebenden Familien.
– Aurora unterstützt Helden von heute wie Sie und macht auf ihre wichtige Arbeit vor Ort aufmerksam. Was bedeutet es für Sie, Teil dieser Gemeinschaft zu sein?
Die Unterstützung und Sichtbarkeit durch eine Organisation wie die Ihrige ist ein Zeichen der Anerkennung, das es uns ermöglicht, unsere Aktivitäten mit den Behörden und den europäischen Institutionen im Zusammenhang mit den Menschenrechten zu planen und durchzuführen. Es ist sehr wichtig, die Stimme der Opfer über die Landesgrenzen hinaus zu tragen und mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft am Prozess der Friedenskonsolidierung und des Wiederaufbaus mitzuwirken.