David Nalbandian

David Nalbandian

David Nalbandian gehört zu Argentiniens besten Tennisspielern und ist einer der außergewöhnlichsten Spieler in der Geschichte dieses Sports. Der geborene Gewinner war Weltranglistendritter, hielt sich fünf Jahre in Folge unter den ersten Zehn und zeigte der ganzen Welt die Liebe zu seiner Heimat, als er in den argentinischen Nationalfarben Blau und Weiß den Titel beim Davis Cup verteidigte.
 

Das Siegen liegt ihm im Blut

Mit jedem Sieg tauchte der Name Nalbandian immer öfter in den lokalen Medien wie auch den Sportnachrichten weltweit auf. Sein Akzent, der eines Jungen aus Córdoba, ist unverkennbar, sein Auftreten durch und durch das eines Armeniers. Es sind jedoch die letzten drei Buchstaben seines Nachnamens, die seine Identität mit dem Erbe seines Großvaters Kevork Nalbandian verbinden.

Kevork oder Jorge, wie er in Argentinien gerufen wurde, kam um das Jahr 1909 in einem kleinen Ort in Ostarmenien zur Welt, das damals zum Russischen Reich gehörte. Er blieb Einzelkind, denn seine Mutter war kurz nach der Geburt gestorben. So wuchs er bei seinem Vater und seiner Tante auf. Eines Tages erhielt der Vater, der beim Militär diente, den Marschbefehl zur Front, von der er nie zurückkehren sollte. „Das letzte Mal sah mein Großvater seinen Vater nach einer Messe in der armenischen Kirche. Sie mussten die Kirche verlassen, denn die Angriffe hatten bereits begonnen“, erzählt David Nalbandian.

Nach der Russischen Revolution und dem Rückzug der zaristischen Truppen von der Front im Kaukasus starteten die osmanischen Truppen einen Gegenangriff und nahmen in kürzester Zeit Westarmenien und große Teile des zum Russischen Reich gehörenden Ostarmeniens ein.

So fielen die Ostarmenier wie schon ihre Landsleute im Osmanischen Reich dem Völkermord zum Opfer.

„Mein Großvater konnte jedoch entkommen. Nachdem er als blinder Passagier das Schwarze Meer und das Mittelmeer überquert hatte, erreichte er im Alter von zwölf Jahren Frankreich“, führt David Nalbandian aus. Später besorgten sich einige Verwandte in Buenos Aires Papiere, die ihn als Erwachsenen auswiesen, obwohl er das nicht war. Nur so konnte er nach Argentinien einreisen. „Leider gibt es keine Aufzeichnungen darüber, denn mein Großvater war kein Mann von vielen Worten“, sagt David Nalbandian. Dennoch hält die Familie die Erinnerung an Kevork wach: „Durch Gespräche in der Familie erinnern wir uns, welches Leid er hatte ertragen müssen, insbesondere den Hunger, wie er völlig mittellos und auf sich alleine gestellt fliehen musste, teils durch ebendiese Wüste, in der so viele umgekommen waren. Viel sprach er nicht darüber, denn jedes Mal standen ihm Tränen in den Augen, noch bevor er seine Geschichte hatte beenden können“, erinnert sich David Nalbandian.

Kevork gedachte des Völkermordes auf seine Art: Er schloss seinen Laden wie an einem Feiertag, betete und las aus einer Bibel, die in seiner Muttersprache geschrieben war. Sie war sein ganzer Schatz und das einzige, was er bei der Flucht aus der Heimat hatte retten können. „An keinem dieser Gedenktage sprach er über seine Gefühle, er behielt alles für sich. Er verdrängte das Erlebte, es bereitete ihm zu großen Kummer. Er war ein fröhlicher Mensch, nie sah man ihn gebeugt vor Gram und Leid. Ich glaube nicht, ihn jemals wegen dieser furchtbaren Erinnerungen traurig erlebt zu haben. Er wollte nach vorne blicken, im Hier und Jetzt leben“, sagt David Nalbandian.

Am hundertsten Jahrestag des Völkermordes trat David Nalbandian gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Fernsehen auf, um so das Ereignis ins allgemeine Bewusstsein zu bringen. „Die Initiative kam genau zur rechten Zeit und fand Nachahmer im ganzen Land. Sie entfaltete eine große Wirkung. Es ist Teil meiner Geschichte, unserer Geschichte, wo einander zu helfen eine Selbstverständlichkeit ist“, sagt David Nalbandian voller Stolz.

 

Ein Argentinier in Armenien

In der Heimat von David Nalbandians Großvater hatte man schon lange auf den Sportler gewartet. 2008 kam er schließlich für ein Freundschaftsspiel nach Armenien. „Im Laufe meiner Karriere habe ich viele Städte und Kulturen gesehen, doch in Jerewan zu sein ist beeindruckend. Man sieht die Dinge anders mit dem Auge der Vergangenheit, der Familie, der jüngeren Geschichte.“

„Ich mochte Armenien wirklich sehr und werde bestimmt irgendwann zurückkehren“, bekräftigt David Nalbandian.

Die Armenier hießen den Gast herzlich willkommen und nahmen ihn mit großer Gastfreundschaft auf. „Am meisten haben mich die Menschen beeindruckt. Sie sind aufmerksam, hilfsbereit und gütig“, glaubt David Nalbandian. Er gilt als Held nicht nur aufgrund seiner sportlichen Leistungen, sondern auch seiner Einstellung gegenüber der eigenen Herkunft. „Ungeachtet der Sprachbarriere konnte ich erkennen, was ich ihnen bedeutete. Man braucht nur Armenier zu sein und man wird behandelt wie einer von ihnen, wie ein enger Verwandter. Dies zeugt von der Verbundenheit und der Einheit, wie es sie innerhalb der armenischen Gemeinde gibt.“

 

König David

Das erste Mal hielt David Nalbandian im Alter von vier Jahren einen Tennisschläger in der Hand. Die Nalbandians und einige andere Familien aus Unquillo, einer Stadt im Großraum Córdoba, eröffneten einen kleinen Klub, wo sie zwei Plätze anlegten. Zunächst verbrachte der junge David die Wochenenden mit Familie und Freunden dort, später ging er auch unter der Woche hin. „Anfangs wollte ich einfach nur Freunde treffen, mir gefiel es dort. Stundenlang schwang ich den Schläger, dass ich jedoch einmal mein Leben dem Tennis widmen würde, war nicht abzusehen“, erinnert sich der heute erfolgreiche Spieler.

Als Junge betrieb er jeden Sport, den man sich nur vorstellen kann: Basketball, Fußball, Schwimmen, Reiten, Tennis, BMX. „Als ich ungefähr elf war, steckte ich immer mehr Energie ins Tennisspielen“, sagt David Nalbandian. Auch heute lebt diese Begeisterung für Sport ungebrochen in ihm weiter. „Wann immer ich kann, versuche ich, etwas zu machen. Ich spiele Golf, Fußball und Polo, gehe reiten und fahre Autorennen. Still zu sitzen ist nicht mein Ding“, sagt er und fügt lächelnd an: „Dafür wird später noch genug Zeit sein.“

Im Alter von vierzehn Jahren wurde er Weltmeister in Japan und gewann 1998 den Juniorentitel der US Open, indem er Roger Federer besiegte, gegen den er später oft auf den großen Plätzen der Welt spielte. Entschlossen trieb er seine Karriere voran und schaffte es so auf Platz 1 in der argentinischen und lateinamerikanischen Wertung. In seiner Heimatstadt wurde er zu „König David“ gekrönt und bewies bei jedem Spiel Eleganz und außergewöhnliches Talent für den Sport. Dank seiner unschlagbaren Rückhand gewann er viele Turniere: Er holte elf Titel, schaffte es ins Finale von Wimbledon und auf Platz 3 der Weltrangliste. Auf seinem Weg an die Spitze bezwang er starke Gegner wie Rafael Nadal und Novak Djokovic.

Geschichte schrieb David Nalbandian, als er bei den Shanghai Masters die damalige Nummer 1 der Weltrangliste Roger Federer in einem über viereinhalbstündigen Spiel bezwang.

 

            David Nalbandian nach seinem Sieg über Roger Federer 2005 in Shanghai

David Nalbandian hat die Welt bereist, doch er ist immer wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt. „Unquillo war immer ein Ort der Geborgenheit für mich, dort schöpfte ich neue Kraft und fand Entspannung. Zurückzukehren und Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen war mir immer ein Bedürfnis, genau wie die Rückkehr auf den Platz mit neuer Kraft“, sagt er.

Seine Leistung in der argentinischen Mannschaft beim Davis Cup gehört eigens erwähnt. Bei jedem Spiel, das er für sein Land bestritt, gab er einfach alles. „Für die Nationalmannschaft habe ich immer gerne gespielt. Wann immer ich das argentinische Trikot trug, fühlte es sich anders an, als wenn man nur für sich selbst spielt. Die Verantwortung ist eine andere, ebenso die eigene Hingabe, selbst die Menschen schauen anders zu“, sagt er und lächelt.

Vom Tennisplatz auf die Rennbahn

2013 beendete David Nalbandian seine Tenniskarriere offiziell. Zwar ist er jetzt kein Profisportler mehr, doch den Sport hat er nie ganz aufgegeben. Heute geht er einer anderen sportlichen Leidenschaft nach, die ihn schon ein Leben lang begleitet: Autorennen. „Schon immer habe ich Autorennen geliebt. Eine Runde der Rallye-Weltmeisterschaft wird bei uns in Córdoba ausgetragen und die haben wir uns immer mit der Familie angesehen. Ich hatte schon immer eine große Leidenschaft für Autos“, erinnert er sich. So startete er 2014 das erste Mal bei der argentinischen Rallye und schaffte es noch im selben Jahr auf das Siegertreppchen. Nach seiner Karriere im Tennis feiert er nun Erfolge im Motorsport. Bisher hat er es fünfmal auf das Siegertreppchen geschafft und einmal den Maxipreis bei der vor Ort ausgetragenen „Vuelta de la Manzana“ gewonnen.

Die David-Nalbandian-Stiftung

„Der Sport gibt einem das Gefühl, dass man dazugehört. Durch ihn lernt man, was das Wesen von Wettbewerb, Freundschaft und Rivalität wirklich ausmacht. Es sind großartige Erfahrungen, auf die man gut in seinem Alltag, auf der Arbeit und bei jeder Art von gesellschaftlichem Miteinander zurückgreifen kann“, glaubt David Nalbandian.

2007 wurde die David-Nalbandian-Stiftung ins Leben gerufen mit dem Ziel, die menschliche Entwicklung und soziale Eingliederung durch Programme zu fördern, in deren Mittelpunkt Gesundheit und Sport stehen. „Wir versuchen für jeden den richtigen Sport zu finden, und wir ermuntern die Menschen, ein paar Stunden am Tag Sport zu betreiben, damit sie Freude haben und es ihnen gut geht“, sagt David Nalbandian. Die Stiftung hat es sich zum Ziel gesetzt, Programme zu fördern, die den Auswirkungen von Ausgrenzung und Diskriminierung entgegenwirken. Die Stiftung betont die enge Verbindung zwischen Gesundheit und Sport, daher bietet sie viele Programme zur Förderung von Kindern. „So haben wir angefangen, und danach haben wir ein Reha-Zentrum eröffnet. Wir haben unsere Aktivitäten ausgeweitet, weil wir feststellten, wie groß der Bedarf ist. Wir versuchen, bestmöglich zu helfen“, sagt David Nalbandian.

Die Geschichte wurde verifiziert vom Forschungsteam der Initiative 100 LIVES.