Bea Ehlers-Kerbekian

Bea Ehlers-Kerbekian

„Fremdsein in der Welt, das kenne ich nicht. Fremdsein in dem Gehäuse, in dem wir aufgewachsen sind - ja“, sagt Bea Ehlers-Kerbekian. Sie wurde in einem Dorf im Schwarzwald geboren. Wie der Name schon sagt, ist sie Tochter einer armenischen Mutter und eines deutschen Vaters. Noch als Kind bekam sie „die Fremdenfeindlichkeit der Dorfbewohner zu spüren.“  
 

Fragen über Identität und Fremde führen sie zum Theater und in die Wissenschaften. Sie studiert Darstellende Künste in Hamburg, später Drama- und Theater-Therapie an der University of Applied Sciences in Freiburg. Eine Einladung zum Monodramafestival „Armmono“ bringt sie im Jahr 2003 das erste Mal nach Armenien. „Ein biografisch einschneidendes Erlebnis“, sagt sie. Denn danach widmet sie ihre künstlerische Arbeit der Aufklärung des Genozids an den Armeniern und initiiert diverse Projekte.

Es folgen Förderungen für das Theaterstück „Das Märchen vom letzten Gedanken“ von Edgar Hilsenrath - eine Kooperation mit dem Jungen Theater in Jerewan sowie das Solostück „Annes Schweigen“ in Zusammenarbeit mit dem türkischen Autor Dogan Akhanli.   

Seit 25 Jahren arbeitet sie nun an nationalen und internationalen Bühnen und tourt mit ihrem Soloabend durch Deutschland, Armenien und die Türkei. Für ihre Theaterprojekte und Schauspielkunst wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis „Moscow International One Man Show Festival“ und mit dem Armenischen Theaterpreis „Artavazd“. 

                                     Die Eltern von Bea Ehlers-Kerbekian. Hochzeitsfoto.

Heute hat sie den inneren Frieden mit der Vergangenheit geschlossen, doch als Kind sah sie sich mit der gradlinigen Denkweise ihrer Nachbarn und mit den Erwartungen ihres Vaters konfrontiert. „Mein Vater fühlte sich der „deutschen Hochkultur“ verpflichtet und das implizierte eine strikt vorgegebene Lebensweise. Es war unsere Mutter, die Lebensfreude in unseren Alltag brachte“, erinnert sie sich. „Meine Mutter war eine stolze Armenierin. Was mich betrifft, so weiß ich, dass der stärkere Teil in mir auf jeden Fall das Armenische ist. Der Mut zu starken Emotionen und zur Leidenschaft, der Zusammenhalt in der Familie, das Lachen und die Lebendigkeit -  das ist das Armenische, das ich von meiner Mayrik (zu Deutsch: Mutter) kenne. Ich bin ihr für all diese Eigenschaften unendlich dankbar“, sagt Bea liebevoll.   

Beas Mutter Maro Kerbekian musste in ihrem Leben oft den Wohnort wechseln, bevor Deutschland zu ihrem festen Wohnsitz wurde. Sie war eine intelligente und lebensfrohe Frau, die acht Sprachen fließend beherrschte. Doch ihr Lebensmut wich manchmal einer tiefen Trauer und machte sie für ihre Kinder unzugänglich. „Dann kamen solche Sätze wie: ‚Bea, weißt du, sie haben uns abgeschlachtet wie Tiere, den schwangeren Frauen die Kinder lebendig aus dem Leib geschnitten.‘“  

Aber was war mit Maro genau passiert, welche Lebenserfahrung und Vergangenheit hatte sie? Schließlich waren es ihre Eltern, die den Genozid erlebt hatten. Die Antwort auf diese Frage blieb Bea lange Zeit verwehrt, bis sie eines Tages ihren Onkel Gago bat, seine Memoiren aufzuschreiben. Er kam ihrer Bitte nach.  

 

                                         Kerbekians Verwandten in Addis Abeba

Kerbekians Freundschaft mit dem König Äthiopiens 

Beas Großvater Hrant Kerbekian kam in Arabkir im Osmanischen Reich zur Welt. Er wurde Augenzeuge des Genozids an den Armeniern. Noch als Kind verlor er seinen Vater, der ein hochgeschätzter Professor war. Die Osmanen hängten ihn vor seinen Augen auf dem Marktplatz mit all den anderen Intellektuellen.

Nach diesem Erlebnis flüchtete die Familie Kerbekian nach Äthiopien, wo sich ihre Verwandtschaft seit einigen Jahrzehnten niedergelassen hatte. Die Familie stand in sehr enger Beziehung zu der königlichen Familie. Über mehrere Generationen arbeiteten sie für die äthiopische königliche Familie und wurden im Palast sehr geschätzt. Haile Selassie I., Regent Äthiopiens und letzter König von Abessinien hatte nicht nur für Kerbekians ein Herz. Fasziniert von der armenischen Musik und dem Gesang 40 armenischer Waisenkinder, die er in Jerusalem in einer Kirche hörte, brachte er sie später nach Addis Abeba. Unter seiner Obhut entstand in Äthiopien allmählich eine armenische Gemeinde mit einer Armenischen Apostolischen Kirche, die bis heute dort existiert. 

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                  König Haile Selassie besucht die armenische Gemeinde in Addis Abeba. 

Der kleine Junge Hrant wuchs zu einem gut aussehenden jungen Mann heran. „Er war großzügig, offen und selbstbewusst“, schreibt Beas Onkel Gago. Seinen Unterhalt verdiente er als Freiberufler durch diverse Aufträge im Bauwesen. Gefesselt von der Schönheit einer jungen Blondine aus Smyrna namens Serpouhi, hielt er um ihre Hand an. „Serpouhi war eine schlanke, sehr attraktive Frau mit einer angenehmen Art“, schreibt Onkel Gago in seinen Memoiren.

Wie Hrant war auch Serpouhi von den Ereignissen um 1915 traumatisiert. Ihr Vater wurde während der Massaker an den christlichen Minderheiten in Smyrna ermordet. Sein Schädel wurde mit einer Axt gespalten. „Sie erzählte uns darüber erst im hohen Alter. Diese Tragödie umtrieb sie ihr Leben lang“, erinnert sich Bea an ihre Großmutter Serpouhi. „Wie die Familie meines Großvaters war auch sie zusammen mit ihren verbliebenen Familienangehörigen nach Äthiopien geflüchtet.“  

                                     Beas Großmutter Serpouhi zusammen mit Onkel Gago 

Italien erklärt Athiopien den Krieg. Kerbekians erneut auf der Flucht.

Hrant und Serpouhi heiraten und bekommen zwei Kinder, Gago und Maro. Die anfänglich glücklich anmutende Beziehung wird mit der Zeit immer schwieriger und das Paar trennt sich. Ihre Kinder, Gago und Maro, kommen in eine italienisch-französische, katholische Missionsschule außerhalb von Addis Abeba. Als Mussolini Äthiopien sieben Jahre später den Krieg erklärt, wird die Missionsschule über Nacht niedergebrannt. „Maro und Gago verlieren in einem einzigen Moment ihr Zuhause. Sie werden als Jugendliche ins Leben und in die Kriegswirren entlassen“, kommentiert Bea. Die politische Lage in Addis Abeba verschlimmert sich.

Als die Italiener an die äthiopische Hauptstadt heranrücken, ergreift der äthiopische König Haile Selassie die Flucht. „Der Hass gegenüber Ethnien wird ungezügelt ausgelebt. Wohnungen, Häuser und Geschäfte werden ausgeraubt und niedergebrannt. Wir finden Zuflucht in einer armenischen Kirche und werden dort von der britischen Botschaft in Sicherheit gebracht“, erinnert sich Onkel Gago. Die Evakuierung dauert einige Wochen. „Als wir zurückkommen, ist unser Haus ausgeraubt und teilweise abgebrannt.“

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                                             Die königliche Familie Äthiopiens

Beas Großvater Hrant wird für einen Spion gehalten

1936 wird der Großvater Hrant fälschlicherweise als politischer Kollaborateur von der Faschistischen Regierung Mussolinis festgenommen und zusammen mit anderen Äthiopiern ins Gefängnis in Mogadishu (in Somalia), einer italienischen Kolonie, geschickt.     

Ohne die finanzielle Unterstützung ihres Mannes und angesichts der prekären Lage in Addis Abeba verkauft Serpouhi ihr Hab und Gut und geht mit ihren Kindern nach Zypern, wo ihr Bruder Hagop lebt. Die Hoffnung auf eine sichere Existenz für ihre Kinder entpuppt sich jedoch als illusorisch. Der Zweite Weltkrieg bricht aus.  

                                                   Beas Großvater Hrant Kerbekian

Rückkehr nach Äthiopien, Ankunft in der Fremde

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und mit der Rückkehr von Haile Selassie kommen auch die Kerbekians nach Äthiopien zurück. „Mein Onkel Gago arbeitet in einer Bank, meine Mutter in einer Apotheke. Beide arbeiten hart und sparen, um nach Amerika auszuwandern. Das Leben in Addis Abeba  war ohne Perspektive und nach dem Krieg voller Ressentiments der verschiedenen Ethnien.“  

1955 emigriert Gago in die USA, findet einen Job in der Bank of America und wird bereits nach fünf Jahren amerikanischer Staatsbürger und ein sehr erfolgreicher Bankmanager. Indessen lernt Maro ihren künftigen Mann Dieter aus Norddeutschland kennen, der in derselben Apotheke sein Praktikum macht. Maro und Dieter heiraten und verlassen 1957 nach seinem zweijährigen Praktikum Äthiopien.

           Großmutter Serpouhi, Mutter Maro zusammen mit Bea und ihren Geschwistern im  Schwarzwald

Die Großmutter Serpouhi schließt sich ihnen ein Jahr später an. „Wenn sie uns ins Bett brachte, sang sie ein Schlaflied, das wir von unserer deutschen Großmutter kannten: Müde bin ich, geh zur Ruh, schließe meine Äugelein zu. Unsere armenische Großmutter Serpouhi hatte das Lied in Smyrna in einem deutschen Kindergarten gelernt“, sagt Bea. Sie wirkt nachdenklich, sichtlich betroffen vom Lebensweg ihrer Vorfahren. Beas Mutter Maro starb 2008 und wurde auf dem armenischen Friedhof auf Zypern beigesetzt. 

„Auch wenn wir als Nachkommen die Gräuel des Genozids selbst nicht erlebt haben, so glaube ich sehr wohl daran, dass vieles kollektiv über die Generationen weitergegeben wird. Meine Mutter war - wie viele andere Nachkommen der Überlebenden – in bestimmten Zeiten komplett in sich gekehrt und schweigsam. Es ist an der Zeit dieses Schweigen mit Worten zu füllen und das versuche ich durch meine künstlerische Arbeit.“    

Die Geschichte wurde vom Forschungsteam der Initiative 100 LIVES verifiziert.