Jens Waltermann: “Menschen können sehr gut zusammen leben, wenn dies ermöglicht wird”

Jens Waltermann: “Menschen können sehr gut zusammen leben, wenn dies ermöglicht wird”

Jens Waltermann ist Vorstandsdirektor von UWC International seit Juni 2015. Jens ist ein Alumnus der UWC Pearson College (1985) in Kanada. Er arbeitete mit UWC National Committee in Deutschland seit 2006 und arbeitete für diese als Ehrenamtlicher Vorsitzender von 2008 bis 2015. In Kooperation mit der Robert Bosch-Stiftung war er einer der Gründer des UWC Robert Bosch College in Freiburg, das 2014 eröffnet wurde. 

Was denken Sie ist das drängendste humanitäre Problem auf der Welt?

Ich denke, es gibt zwei drängende humanitäre Probleme oder vielleicht drei, die alle miteinander lose verbunden sind. Erstens, Kriege und bewaffnete Konflikte auf der ganzen Welt, das Wiederaufleben bewaffneter Konflikte aufgrund religiöser und konstruierter kultureller Unterschiede. Meistens wirken diese künstlich, weil es dahinter einen Machtkampf gibt und Menschen, die an der Entwicklung von Konflikten interessiert sind, anstatt dass es um einen unüberwindbaren Unterschied geht. Wir an der UWC sehen, dass Menschen sehr gut zusammen leben können, wenn dies ermöglicht wird. Aber wenn es Gruppen gibt und man sie dazu antreibt, mehr auf ihre Unterschiede zu schauen statt auf ihre gemeinsame Menschlichkeit, dann entstehen so Konflikte. 

Zweitens ist, denke ich, der Hunger. Stand jetzt haben wir eine wiederauflebende Hungersnot in Ostafrika. Und drittens natürlich die Flüchtlingskrise, die durch die anderen zwei Krisen angetrieben wird: bewaffnete Konflikte und Hunger – die Flucht vor unmöglichen Lebensbedingungen.

Das UWC hat ein Programm für die Flüchtlingskrise entwickelt, das diese angeht und hier einen Beitrag leistet, indem jährlich 100 Vollstipendien an Studenten mit Flüchtlingshintergrund vergeben werden. Es ist sehr wichtig und für uns von hoher Wichtigkeit. Wir sehen, dass es die UWC Community aufrüttelt. Wir wollen mit Flüchtlingen arbeiten, wir wollen sicherstellen, dass die Talente der Flüchtlinge die gleichen Chancen erhalten wie Studenten mit anderen Hintergrund, und hierfür haben wir ein besonderes Programm entwickelt, weil wir schlussendlich nicht warten können, bis die Flüchtlinge das UWC finden. Das UWC muss da rausgehen und Flüchtlinge finden, die Talent und Potential haben, um wirklich etwas für die Welt, für ihre Communities beizutragen.

Wenn sie einmal eine Ausbildung haben, gehen sie zurück in ihre Communities und machen einen Unterschied aus, hoffentlich dann, wenn der Konflikt, vor dem sie ursprünglich geflohen sind, überwunden worden ist. Immer wieder geht es um den Wiederaufbau der Gesellschaft, und wir können nun im Südsudan sehen, wie nach dem Ende eines Konfliktes, wenn es keine engagierten Menschen gibt, die die Community zusammenbringen, es zu neuen Konflikten auf Grundlage des alten Konfliktes kommt.

Wer ist in der besten Position, um die von Ihnen beschriebene Krise zu lösen?

Ich denke, wir können diese Konflikte nur angehen, wenn verschiedene Ebenen der Gesellschaft zusammenarbeiten. Es braucht Regierungen, weil Regierungen große Geldmengen und in Extremfällen Armeen bewegen können. Es braucht die Zivilgesellschaft, weil sie viel flexibler bei der Reaktion auf Herausforderungen ist als es Regierungen je sein könnten; aber ich denke auch, dass wir Bildung brauchen.

Wir brauchen die Energie der jungen Leute und die frischen Köpfe junger Leute um diese Situationen anzugehen, weil sie auf die Welt mit anderen Augen blicken. Sie sind nicht vereinnahmt von ihren Erfahrungen oder von Denkweisen wie ‘das ist unmöglich’ oder ‘das haben wir schon versucht’. Sie kommen an diese Probleme mit frischen Augen und sie nutzen ihre Bildung. Wenn sie ihre richtige Bildung erhalten haben, werden sie ihre Bildung für wirklich kreative Lösungen einsetzen. Für mich ist es eine Lösung auf mehreren Ebenen.

Also schlussendlich “Dankbarkeit in Aktion”, wie man sagen könnte.

Absolut, “Absolventen in Aktion ” und “Dankbarkeit in Aktion”.

Denken Sie, dass humanitäre Initiativen wie Aurora in effizienter Weise einen Einfluss ausüben?

Ich denke, Aurora hatte bislang extreme viel geleistet trotz ihrer noch kurzen Geschichte. Eine Initiative in ihrem zweiten Jahr, die so viel internationale Anerkennung erreicht hat, die so viel Zug hat hinsichtlich Bewerber, Nominierte und so viel Einfluss auf die NGOs hat mit Blick auf Inspiration...

Wir vergessen immer: Selbst wenn man nur wenige Menschen oder wenige Organisationen erreicht, das Wecken von Hoffnung ist das wichtigste Konzept, das Menschen dazu motiviert, schwierige Situationen anzugehen, die geändert werden müssen. Ich denke, Aurora ist in ihrer kurzen Geschichte sehr erfolgreich darin gewesen, die Saat der Hoffnung in vielen Regionen der Welt zu verbreiten und ich bin mir sicher, wir werden davon in Zukunft viel mehr sehen.

Kennen Sie jemanden, den Sie für den nächstjährigen Aurora-Preis nominieren würden?

Nun, es gibt eine Organisation, die aus der UWC gewachsen ist. Es gibt ein Zentrum in Indien, das von Studenten des Mahindra College in Indien gegründet worden ist. Dieses Zentrum hilft kleinen Kindern aus den Slums und bringt sie in die Schule und kümmert sich um 200 Schüler. Kleine Kinder gehen täglich dorthin zum Frühstück, sie erhalten saubere Schuluniform, sie gehen zur Schule, sie gehen zurück zum Zentrum, sie erhalten Mittagessen, sie erhalten Hilfe bei ihren Hausaufgaben, sie nehmen an Computerkursen teil oder sie spielen einfach. Und um 5 Uhr kehren sie in ihre Slums zurück, sodass sie bei ihren Familien bleiben können. Dies hat das Leben der Kinder derartig verändert, dass die erste Generation an Schülern, deren Eltern niemals gedacht hätten, dass sie eine Ausbildung erhalten könnten, nun selbst UWC-Studenten geworden sind. Sie sind also nun unter einigen der besten, vielversprechendsten Studenten der Welt. Ich denke, das ist eine wunderbare Geschichte des Wandels und für mich sehr inspirierend, weil diese Mädchen, die dies gegründet haben, zu Projektbeginn 17 Jahre alt waren.