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Seelen retten auf See

Seelen retten auf See

Die ungewöhnlichen Partner Sophie Beau und Klaus Vogel sind die Mitbegründer von SOS Méditerranée (SOS Mittelmeer), einer privaten europäischen Organisation für die Suche und Rettung auf hoher See mit Teams in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz. Bis heute hat SOS Méditerranée mehr als 30.000 Flüchtlingen bei der gefährlichen Überfahrt vor der Küste Libyens geholfen.
 

Es ist die Geschichte einer unverhofften Zusammenarbeit zwischen einer erfahrenen französischen humanitären Helferin und einem erfahrenen Kapitän der deutschen Handelsflotte. Bevor sie sich dem Kampf zur Unterstützung der Flüchtlinge anschlossen, haben beide ein komplett unterschiedliches Leben geführt, aber das Ausmaß der Tragödie im Mittelmeerraum hat in ihnen ein Bewusstsein geweckt, das sie dazu veranlasste, gemeinsam zu handeln.

Sophie Beau, die Ethnologie, Anthropologie und Politikwissenschaften studiert hatte, erkannte schon früh, dass sie sich nie ganz damit zufrieden geben würde, sich auf die Rolle einer Beobachterin zu beschränken. „Es ist sehr interessant, aber es ist noch besser, diese Fähigkeiten in Entwicklungs- und Kooperationsprojekten zu nutzen“, erklärt sie. Sophie ist ausgiebig rund um den Globus gereist und hat auf ihren zahlreichen Reisen für bekannte medizinische NGOs in Afrika, Asien und anderen Regionen der Welt viel gelernt. Zurück in Frankreich arbeitete sie in Marseille und koordinierte Missionen, um den Zugang zur Gesundheitsversorgung für die am härtesten Benachteiligten zu erleichtern.

Im Jahr 2014 hatte die italienische Marine mangels Ressourcen und Unterstützung seitens der europäischen Partner ihre Rettungsoperation Mare Nostrum im Mittelmeer eingestellt, die im Oktober 2013 nach der Tragödie von Lampedusa – einem Schiffbruch, bei dem 366 Migranten ums Leben kamen – angelaufen war. „Die EU ignorierte Appelle aus Italien, das sich alleine an vorderster Front befand und eine große Wirtschafts- und Finanzkrise durchmachte“, so Sophie. Und sie fügt hinzu: „Im November 2014 befand sich kein einziges Rettungsschiff mehr im Mittelmeer, aber der Menschenschmuggel ging weiter. Viele Menschen flohen aus Libyen. Es war ein extrem todbringender Winter, der tödlichste im Mittelmeerraum.“

Im selben Jahr traf Sophie Beau auf Kapitän Klaus Vogel.

 

Sophie Beau an Bord des Rettungsschiffes.

Der gebürtige Hamburger hat bereits alle Weltmeere befahren. 1982 war der damals noch junge Klaus Vogel Teil der Mannschaft auf einem Frachtschiff im Chinesischen Meer. Als das Schiff nach Europa zurückkehrte, zwang der Kapitän sie, die Route zu ändern, um zu verhindern, dass die sogenannten „Boat People“ vor der kommunistischen Diktatur in Vietnam flüchten konnten. Noch Jahre danach hat Klaus Vogel bedauert, dass er diese Männer und Frauen nicht hatte retten können. Als Italien das Mare Nostrum-Programm beendete, kamen ihm wieder die alptraumhaften Bilder vietnamesischer Flüchtlinge in den Sinn. Aber diesmal war er entschlossen, zu handeln. Klaus Vogel verfügt über langjährige Erfahrung auf See, hatte aber nie mit humanitärer Hilfe zu tun gehabt. Mit Sophie Beau fand er den Weg dorthin, und gemeinsam gründeten sie im Mai 2015 SOS Méditerranée.

„Was mich am meisten beeinflusst hat, ist meine Erfahrung mit Menschen, die sich in großer Gefahr befinden und in Todesangst leben. Man kann sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie das ist. Es verändert einen Menschen. Mir und all jenen, mit denen ich zusammenarbeite, ist klar, dass wir eine Verpflichtung haben, diese Menschen zu retten und ihnen so gut wie möglich zu helfen“, stellte Klaus Vogel in seinem Interview mit der DW klar.

Während Klaus Vogel ein Schiff, das Rettungsschiff Aquarius, beschaffte und sich um alle technischen Aspekte kümmerte, baute Sophie Beau das Projekt auf und sicherte die Finanzierung. „Als Bürgerinnen und Bürger und als Europäerinnen und Europäer können wir nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem, was im Mittelmeer passiert; wir können nicht anders, als den Menschen die Hand zu reichen, die vor unseren Augen ertrinken“, findet Sophie Beau. „SOS Méditerranée war die Idee von Klaus, es war seine Initiative. Wir sollten nicht vergessen, dass damals über diese Migrationskrise viel weniger berichtet wurde; auch wenn es jeder wusste, wurde in den Medien nicht darüber gesprochen.“

 

Klaus Vogel bringt Flüchtlinge in Sicherheit.

Die neue NGO nahm Kontakt zu zahlreichen institutionellen Spendern auf, aber überraschend für Beau und Vogel war vor allem der Zufluss privater Spenden von europäischen Bürgern. Dank Crowdfunding konnten in nur sechs Wochen 275.000 Euro gesammelt werden. Auch heute noch wird der Finanzbedarf der Organisation zu 98 % durch private Spenden gedeckt.

SOS Méditerranée ist eine gemeinnützige Organisation mit freiwilligen Helfern, die unabhängig von jedweder politischer Einflussnahme handelt und sich sowohl auf einen moralischen Imperativ als auch auf die Anwendung des Seerechts stützt, das Hilfeleistung auf See vorschreibt. Die Organisation verfolgt drei Hauptziele: Leben retten, Überlebende schützen und die kritische Situation auf See bezeugen. Dies sind die zentralen Werte, die Klaus Vogel und Sophie Beau wahren wollen.

Wegen seines Engagements auf See wurde das Büro von SOS Méditerranée in Marseille von einer Gruppe Rechtsextremer verwüstet. Die NGO ist wiederholt mit der libyschen Küstenwache aneinandergeraten, als diese versuchte, die nach Italien fahrenden Migrantenschiffe abzufangen. Die humanitären Helfer sind zunehmend Bedrohungen ausgesetzt, und die Organisation wird von den europäischen Regierungen stark unter Druck gesetzt.

 

Jedes Jahr versuchen Tausende Flüchtlinge, über den Seeweg nach Europa zu gelangen.

Infolgedessen wurde 2018 der Chartervertrag für die Aquarius aufgelöst. Das Team war gezwungen, sich nach einem anderen Schiff umzusehen. Sie nahmen die Herausforderung an, und im August 2019 stach ein neues Schiff mit dem Namen Ocean Viking wieder in See, um weitere Migranten zu retten. Bis heute ist die Ocean Viking auf ihrer Mission unterwegs und fährt unter der norwegischen Flagge, der Flagge von Nansens Heimatland, das weltweit das Seerecht und die Menschenrechte achtet.

Trotz des immer schwierigeren politischen Umfelds stehen Sophie, Klaus und alle freiwilligen Helfer von SOS Méditerranée unerschütterlich zu ihrem Engagement, Leben zu retten. „Wir sehen uns in dieser extremen politischen Instrumentalisierung eines übertrieben mediatisierten Themas gefangen, das vor allem humanitär sein sollte. Das Seerecht und die Rechte der Flüchtlinge sind eindeutig und unanfechtbar. Es ist eine Frage der Menschenrechte“, betonen die Aktivisten.