Dr. Catherine Hamlin hat ihr Leben dem Kampf gegen das Stigma und das Leid gewidmet, dem äthiopische Frauen mit Geburtsfisteln ausgesetzt sind. Mit ihren 96 Jahren hat sie mehr als 60.000 Patientinnen zu einer Behandlung verholfen und im ganzen Land spezialisierte Fistelkliniken eröffnet, die eine beispiellose Versorgung bieten und denjenigen Hoffnung auf ein neues Leben geben, die traditionell von ihrer eigenen Gemeinschaft ausgegrenzt wurden.
Catherine Hamlin kam 1924 in einer Großfamilie im australischen Sydney zur Welt. Sie besuchte das College ihrer Heimatstadt und schloss 1946 ihr Studium an der University of Sydney School of Medicine ab. Nach Abschluss ihres Studiums arbeitete sie als Amtsärztin am Crown Street Women's Hospital in Sydney, wo sie ihren zukünftigen Ehemann, Dr. Reginald Hamlin, kennenlernte.
Getrieben von ihrer Leidenschaft, anderen zu helfen, zögerte das junge Paar nach der Heirat nicht lange und nahm einen Vertrag mit der äthiopischen Regierung an, um als Gynäkologen für Geburtshilfe zu arbeiten und eine Hebammenschule in Addis Abeba zu gründen. Dank ihrer mitfühlenden und wagemutigen Haltung ist aus dem ursprünglich auf drei Jahre angelegten Arbeitseinsatz eine lebenslange Mission geworden.
„Ich glaube, Gott hat Reg und mich nach Äthiopien geführt. Wir waren auf der Suche nach einer erfüllteren Arbeit in einem Entwicklungsland und haben auf eine Anzeige in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet geantwortet, in der Gynäkologen in Addis Abeba gesucht wurden. Es sollte eine Hebammenschule aufgebaut werden. Wir hatten keine Ahnung, dass uns diese Chance zu unserem Lebenswerk führen würde“, so Dr. Catherine Hamlin. Als sie vor über 60 Jahren zum ersten Mal in Äthiopien ankamen, wurden Catherine und Reg von einem Gynäkologen-Kollegen gewarnt, dass die Fistelpatientinnen ihnen das Herz brechen würden. Und das taten sie auch.
Eine Geburtsfistel ist eine Öffnung zwischen dem Geburtskanal und der Blase oder dem Enddarm. Durch diese schmerzhafte und entwürdigende innere Verletzung, die durch tagelange Wehen mit einem Geburtsstillstand verursacht wird, kann eine Frau inkontinent und von ihrer Gemeinschaft geächtet und oftmals ausgestoßen werden.
Als die Hamlins nach Äthiopien kamen, gab es für einheimische Frauen mit dieser Erkrankung nur wenige oder gar keine Behandlungsmöglichkeiten. Obwohl das australische Ehepaar zuvor noch nie eine Patientin mit einer Geburtsfistel gesehen hatte, haben sie sofort etwas unternommen. „Die traurige Erscheinung unserer ersten Fistelpatientin hat uns tief berührt und erschüttert: eine hübsche junge Frau in uringetränkter, zerlumpter Kleidung, die allein in unserer Ambulanz saß, getrennt von den anderen wartenden Patienten. Wir wussten, dass sie mehr als alle anderen dringend Hilfe brauchte“, erinnert sich Catherine.

Dr. Catherine Hamlin im Addis Abeba Fistula Hospital inmitten einiger Patienten, denen sie ihr Leben gewidmet hat, 2012 |
Zunächst waren Catherine und Reg im Princess Tsehai Memorial Hospital in Addis Abeba tätig und haben die Operationstechnik zum Verschließen von Geburtsfistelverletzungen ständig verbessert, während sie gleichzeitig ein breites Spektrum an Geburtshilfefällen behandelten. In den ersten drei Jahren hatten Reg und Catherine 300 Fistelpatientinnen operiert. Als sich die Nachricht von einer Heilungsmöglichkeit verbreitete, kamen viel mehr Frauen zur Behandlung.
Zusätzlich zu den gewaltigen Herausforderungen, mit denen die Hamlins zu kämpfen hatten, konnte das Leben in Äthiopien zu dieser Zeit auch ziemlich gefährlich sein. Während eines Putschversuchs des Anführers der kaiserlichen Leibwache im Jahr 1960 befand sich Katharina auf der Entbindungsstation bei der Geburt eines Babys, als sie plötzlich Schüsse hörte. Einige Kugeln flogen an dem Fenster des Raumes vorbei, in dem gerade gearbeitet hat. Catherine fuhr mit ihrer Arbeit unbeirrt fort und konzentrierte sich ausschließlich auf die Patientin.
Nachdem sie die erforderlichen Mittel erfolgreich beschafft hatten, eröffneten sie 1974 das Addis Abeba Fistula Hospital, ein spezielles Krankenhaus für Fistelpatientinnen. Zusätzlich zu diesem ersten wurden mittlerweile fünf regionale Krankenhäuser für die Fistelchirurgie aufgebaut. In allen sechs Krankenhäusern stehen auch sichere Entbindungseinrichtungen zur Verfügung, in die ehemalige Patientinnen für eine saubere, sichere Kaiserschnittgeburt kostenlos zurückkehren können.
Von Anfang an arbeiteten Catherine und Reg mit den weltweit führenden Standards für die Patientenversorgung und Hygiene für Frauen mit Geburtsfisteln, und Catherine kümmerte sich auch persönlich um die Patientinnen, um ihnen Trost zu spenden. Bei den Kontrolluntersuchungen hielt sie die Hände der Patientinnen, beruhigte besonders nervöse Frauen vor der Operation und heiterte die noch nicht vollständig geheilten Patientinnen mit ihrer ruhigen, gelassenen Art auf, für die sie bekannt ist und für die sie geschätzt wird. Dr. Hamlin nähte sogar die Kittel für den Operationssaal und die Laken für die Betten auf ihrer eigenen Nähmaschine.

Dr. Catherine Hamlin bei einer Operation zur Sanierung einer Fistel – sie operierte noch bis zum Alter von 89 Jahren, 2012 |
Sie erinnert sich an einen Tag im Mai 1991, an dem es vor dem Krankenhaus zu Unruhen auf den Straßen kam. Dr. Hamlin war zu Hause und strickte, als das Telefon plötzlich klingelte. Sie stand vom Sofa auf und wollte ans Telefon gehen. Genau in diesem Augenblick schlug eine Kugel durch das Dach ein und traf das Kissen, auf dem sie soeben noch gesessen hatte. „Gott stand mir in schwierigen Zeiten bei“, lächelt Catherine.
Als Dr. Reg Hamlin 1993 verstarb, stand Catherine vor einer schweren Entscheidung. Sie und Reg hatten das Krankenhaus aufgebaut, Zukunftspläne geschmiedet und sahen sich gemeinsam unzähligen Hindernissen gegenüber. Die Vorstellung, allein weiterzumachen, war erdrückend. Niemand hätte es ihr verdenken können, wenn sie Äthiopien verlassen hätte. Da der Betrieb des Krankenhauses einwandfrei funktionierte, hätte sie mit 69 Jahren in den Ruhestand gehen können, nachdem sie bereits für Tausende Frauen Großartiges geleistet hatte.
Viele Menschen wären nach Australien zurückgekehrt, aber Catherine ist geblieben. „Ich erkannte zunehmend, wie gesegnet ich war, und die Zukunft erschien mir plötzlich strahlend hell. Dies ist mein Zuhause und diese Menschen sind meine Familie“, schreibt Catherine in ihrer Autobiografie „The Hospital by the River“ (Das Krankenhaus am Fluss), die 2001 erstmals veröffentlicht wurde.
Umgeben und getröstet von ihrer äthiopischen Familie und ihren Freunden machte sie weiter, während immer wieder neue Patientinnen aus dem ganzen Land in die Krankenhäuser kamen. Einige gingen tagelang zu Fuß, um zu einer Einrichtung von Hamlin Fistula Ethiopia zu gelangen. Andere liehen sich Geld oder bettelten um Geld für das Busticket dorthin und beteten gleichzeitig, dass sie trotz ihres unangenehmen Geruchs in den Bus einsteigen dürfen. Sobald sie ein Krankenhaus der Hamlins erreicht hatten, wussten sie, dass sie sicher waren. Trotz Stromausfällen, Wasserknappheit und politischen Unruhen hat Catherine immer durchgehalten. Dank ihres Einsatzes konnte Hamlin Fistula Ethiopia Tausende von äthiopischen Frauen operieren, um ihre Fistelverletzungen zu sanieren und ihre Würde wiederherzustellen.

Dr. Catherine Hamlin bei ihrer täglichen Visite im Addis Abeba Fistula Hopsital, 2008 © Kate Geraghty |
Heute ist Hamlin Fistula Ethiopia ein Netzwerk für die Gesundheitsversorgung mit sechs Hamlin Fistula Hospitals, dem Desta Mender Rehabilitation Center („Dorf der Freude“ auf Amharisch), dem Hamlin College of Midwives und 80 Hebammenkliniken, die alle von der Catherine Hamlin Fistula Foundation unterstützt werden. Die über 550 äthiopischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter führen Catherines Traum weiter, die Gesundheitsversorgung von Frauen in ganz Äthiopien zu verbessern. „Ich bin dankbar, dass ich großartige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe. Die Zukunft unserer Krankenhäuser ist in guten Händen“, betont Catherine.
„Ich versuche immer noch, die Welt wach zu rütteln und den Menschen von den Frauen zu erzählen, die wir behandeln. Es wärmt mir das Herz, dass so viele Menschen unsere Arbeit unterstützt haben“, so Dr. Catherine Hamlin. „Zu sehen, wie ein Mädchen aus bitterer Armut und voller Traurigkeit und Kummer plötzlich ein neuer Mensch wird, das ist die Freude, die Fistelchirurgen erfahren, wenn sie diese jungen Menschen heilen. Ich empfinde tiefe menschliche Liebe für diese Frauen. Mein Gefühl für sie, mein Mitgefühl für sie, ist unendlich groß.“
„Mein Traum ist es, die Geburtsfisteln auszurotten. Und zwar für immer. Ich werde das in meinem Leben nicht mehr schaffen, aber Sie können es schaffen.“