Arznda kam auf diese Welt, nachdem ihre Familie aus ihrer Heimat in Bashiqa im Nordirak geflohen war. Im Jahr 2014 flohen sie vor den ISIS-Terroristen und gingen nach Zakho im irakischen Kurdistan. „Wir waren über 20 Tage unterwegs, und dann fanden wir ein verfallenes Gebäude ohne Dach direkt an der Straße. Wir haben es mit Plastikmaterial abgedeckt und dort Zuflucht gefunden“, erinnert sich Arzndas Mutter, Sewal Khudidah Al Azdo.
Die jesidische Familie konnte nicht mehr zurückkehren, da ihr Haus in Bashiqa zerstört und ihr ganzer Besitz gestohlen worden war. Die binnenvertriebene Familie mit Vater, Mutter und einem 4-jährigen Sohn konnte nirgendwo hingehen. Mehrere Jahre lang lebten sie in der Ruine mit dem provisorischen Plastikdach. Und dort wurde Arznda vor drei Jahren geboren.
Die Familie war glücklich, mit einem weiteren Kind gesegnet zu sein. Anfangs konnten ihre Eltern keine Anzeichen für irgendwelche Beschwerden erkennen, aber im Laufe der Zeit bekam das Mädchen zunehmend Atembeschwerden. Im Alter von 6 Monaten wurde bei Arznda eine angeborene Herzerkrankung diagnostiziert. Sie musste dringend einer Herzoperation unterzogen werden. Die war aber zu kompliziert, um sie im Irak durchführen zu können. Die Operation wurde daher in der Türkei in Ankara durchgeführt. Danach musste Arznda in das heruntergekommene Zuhause ihrer Familie zurückkehren.
Während der Untersuchung schaut Arznda auf einem Smartphone einen Zeichentrickfilm an. Armenien, Februar 2020 |
„Die Ärzte sagten mir, dass meine Tochter unter diesen Bedingungen sterben würde. Wir konnten nicht mehr in diesem staubigen, verfallenen Haus bleiben und fanden einen winzigen Unterschlupf, in den wir umziehen konnten. Es war keine optimale Lösung, aber wenigstens hatten wir im wahrsten Sinne des Wortes ein Dach über dem Kopf“, so Sewal Khudidah.
Die erste Operation verlief für Arznda gut, aber die Behandlung war nicht abgeschlossen. Für Arznda war eine stufenweise Behandlung erforderlich. Die Eltern wussten das und hatten ohne Erfolg an Dutzende Türen geklopft, bis endlich die Mutter von Arznda den Aurora-Preisträger 2019, Mirza Dinnayi, Mitbegründer und Direktor der Luftbrücke Irak, kontaktierte. Er hat ihnen sofort geholfen.
Da es lange dauern könnte, das Kind aus dem Irak nach Europa zu bringen, bat Mirza Dinnayi seine armenischen Freunde um Hilfe. „In letzter Zeit hatten wir im Irak Probleme mit Visa, da das Verfahren zur Erlangung von Genehmigungen von den Botschaften und Krankenhäusern ewig dauern konnte. Deshalb habe ich mich für Armenien entschieden. Als ich das letzte Mal in Armenien war, sprach ich mit Rustam Bakoyan, einem jesidischen Mitglied des armenischen Parlaments. Er sprach mit dem Gesundheitsminister, und der Botschafter von Armenien im Irak half uns dann mit dem Visum. Ich freue mich sehr, dass wir unsere humanitäre Mission in Armenien begonnen und das erste Kind zur Behandlung dorthin geschickt haben. Wenn alles gut geht, werden wir mehr Kinder aus gefährdeten Familien aus dem Irak zur Behandlung holen“, so Mirza Dinnayi, Direktor der Luftbrücke Irak und Aurora-Preisträger 2019.
Der Ambulanzarzt, der armenische Abgeordnete Rustam Bakoyan, Arznda und ihre Mutter sind auf dem Weg zum Krankenwagen. Zvartnots International Airport, Februar 2020 |
Die 3-jährige Arznda und ihre Mutter kamen am 17. Februar 2020 in Armenien an. Der armenische Abgeordnete Rustam Bakoyan erwartete sie am Flughafen, um sie zu begrüßen: „Wenn wir das nicht getan hätten, hätte es wahrscheinlich keine andere Möglichkeit gegeben, diesem Kind zu helfen, da die Situation im Irak jetzt sehr kompliziert ist. Nur durch unsere gemeinsamen Anstrengungen konnten wir das erreichen. Wir alle wissen, dass die Jesiden in der Region Sindschar vor hundert Jahren über 20.000 armenischen Flüchtlingen geholfen haben, indem sie ihnen Zuflucht in ihren Häusern gewährten. Jetzt sind es die Armenier, die dem jesidischen Volk ihre Hilfe und ihren Dank entgegenbringen.“
Der Krankenwagen bringt Arznda vom Flughafen direkt zum Nork Marash Medical Center. Zvartnots International Airport, Februar 2020 |
Vom Flughafen brachte ein Krankenwagen Arznda direkt zum Nork Marash Medical Center. „Ihr Herzleiden ist einer der kompliziertesten Fälle, die ich jemals gesehen habe. Im Allgemeinen führen wir in solchen Fällen die zweite Operation bereits im Alter von einem Jahr durch. Arznda ist bereits drei Jahre alt, aber glücklicherweise sind ihre Lungen nicht geschädigt, sodass die zweite Operation in diesem Alter möglich ist“, erklärt Karen Zohrabyan, interventionelle Kardiologin und stellvertretende Direktorin des Nork Marash Medical Center.
Da die Familie von Arznda kein Armenisch spricht, begleitete der Abgeordnete Bakoyan das Mädchen und seine Mutter als Dolmetscher ins Krankenhaus. Die ganze Zeit schien die Mutter von Arznda ruhig und still zu sein, aber hinter dieser Stille konnte man ihre Sorgen spüren. „Ich fühle das Gleiche wie vor zweieinhalb Jahren, als meine Tochter zum ersten Mal operiert wurde. Die Ärzte sagten, die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass sie sterben würde. Jetzt ist sie sehr krank. Ich wünsche mir nur, dass sie weiterleben könnte.“
Arznda wird vor der Operation untersucht. Armenien, Februar 2020 |
Nach einer Woche präoperativer Diagnostik wurde Arznda am 24. Februar in den Operationssaal gebracht. Der operierende Arzt war der renommierte Kardiochirurg Hrayr Hovagimian, der mit einem Team erfahrener Kardiologen zusammenarbeitete. Sie begaben sich um Mitternacht in den Operationssaal und waren bis zum Morgengrauen fertig. Ein so komplizierter medizinischer Fall erforderte eine nahezu zehnstündige Operation, aber es war ein Erfolg.
Arznda verbrachte eine weitere Woche im Nork Marash Medical Center, um sich zu erholen, und wohnte dann mit ihrer Mutter in einem gemütlichen Haus in der Nähe des Krankenhauses, um dort zwei weitere Wochen unter ärztlicher Aufsicht zu bleiben, bevor sie wieder nach Hause in den Irak zurückkehren konnte. Arznda muss sich in sieben Jahren, wenn sie zehn Jahre alt ist, erneut einer Herzoperation unterziehen.
Unterdessen geht die irakisch-armenische humanitäre Mission weiter: Mirza Dinnayi und seine Organisation Luftbrücke Irak werden gemeinsam mit ihren armenischen Partnern weitere Kinder zur Behandlung nach Armenien bringen, allen voran zwei jesidische Kinder aus einem Flüchtlingslager in Sindschar.