Fartuun Adan, Gründerin des Elman Peace and Human Rights Centre in Somalia, engagiert sich zusammen mit ihrer Tochter Ilwad Elman mit unerschütterlichem Einsatz für den Schutz der Menschenrechte und Frauenrechte und die Förderung der Friedensstiftung, Entwicklung und Rehabilitation von Kindersoldaten unter unsicheren und gefährlichen Bedingungen. Fartuun Adan und Ilwad Elman sind Finalisten des Aurora-Preises 2017. Fartuun Adan sprach mit Aurora über ihre Familie, Arbeit, Herausforderungen und Träume.
Die Familie
Ich wurde in Somalia geboren. Es war mein Traum, eine gute Ausbildung zu erhalten und einen guten Job zu bekommen, damit ich meiner Familie helfen kann. Meine Mutter arbeitete sehr hart. Ich wusste, dass sie sich abmühte, deshalb wollte ich ihr immer helfen. Das Leben war nicht einfach. Wir mussten jeden Tag hart arbeiten, dennoch waren wir glücklich. Als ich jung war, gab es keinen Krieg.
Dann habe ich Elman geheiratet. Mein Ehemann war ein Waisenkind. Er wuchs in Italien auf, kam nach Somalia zurück und baute dort seine eigene Firma auf. Er war in Somalia der Erste, der ein Geschäft mit 24-Stunden-Service eröffnete. Er bildete junge Leute aus und stellte sie dann ein. So hat er mit dem Aufbau seiner Firma begonnen.

Zu dieser Zeit war Mogadischu geteilt. Die Leute lebten nicht in einer funktionierenden Koexistenz. Um das zu ändern, gründete mein Mann den Fußballverein Elman FC, damit die Leute gemeinsam spielen und sich untereinander austauschen konnten. Er trainierte die Kinder, unterstützte die Jugendlichen und bezahlte den Strom, denn es gab keinerlei finanzielle Hilfe von anderen. All diese Aktivitäten hat er mit seinen eigenen Mitteln finanziert. Die erste Organisation, die nach Somalia gekommen ist, hat gesehen, was er alles unternahm und damit begonnen, ihm zu helfen, indem sie sagten, dass sie ihm Geld für den Kauf von Kraftstoff für den Strom geben würden. Sie sagten auch, dass die Leute, die sie einstellen würden, von Elman kommen müssten. Und genau zu diesem Zeitpunkt begann er mit der Kampagne „Drop the gun, pick up the pen“ (Nieder mit den Waffen, hoch mit dem Stift).
Der dramatische Wendepunkt
Ich arbeitete mit ihm zusammen und war über alles, was er tat, informiert. Er stellte viele Leute für diese Organisation ein. Die Warlords haben viele Arbeitskräfte verloren und waren darüber wütend. Sie sagten zu ihm, er müsse damit aufhören, er solle das nicht weitermachen. Er setzte sich auch für die Menschenrechte ein, worüber die Warlords nicht minder erbost waren. Er wurde oft bedroht, nahm das aber nicht ernst. Er pflegte zu sagen: „Ich helfe wem ich will. Aber ich bin kein Politiker und will auch keiner sein.“ Letzten Endes haben sie ihn ermordet.
Wir haben das Land verlassen, denn ich habe drei Töchter, die damals noch sehr jung waren. Ich wollte, dass meine Töchter eine gute Ausbildung bekommen, weshalb wir nach Kanada ausgewandert sind. Als sie alt genug waren, ging ich zurück nach Somalia und musste dort mein Leben neu aufbauen. Dort gab es schlichtweg nichts. Alles war weg.

Fartuun Adan im armenischen Genozid-Museum in Jerewan, Armenien |
Der erste Schritt: Elman Peace
Ich habe Elman Peace gegründet. Ich bekam Unterstützung von UNICEF und wir begannen, mit den Kindersoldaten zu arbeiten. Dabei suchten wir verschiedene Orte auf. Dabei traf ich so viele Frauen, die dort vergewaltigt wurden, und niemand sagte etwas. Ich war dann der Meinung, jemand muss seine Stimme erheben, das darf so nicht hingenommen werden. In der Folge haben wir uns an die Medien gewandt, wir haben mit den Leuten gesprochen, wir haben all diese Mädchen gesehen. Der Druck war hoch, denn die Leute haben alles geleugnet. Wir haben das Programm „Sister Somalia“ gestartet, um Frauen zu helfen, die Opfer von Vergewaltigung wurden.
In Somalia vergewaltigt zu werden, ist nicht nur mit entsetzlichen körperlichen Schäden verbunden, sondern auch mit enormen psychischen Folgeschäden. Die Opfer werden stigmatisiert. Wir sind seit zwei Jahren tätig und jetzt reden alle über dieses Thema. Das zählt zu den Dingen, die ich einen Erfolg nenne. Denn wir sprechen offen an, dass wir hier ein echtes Problem haben. Würden wir dieses Thema nicht ansprechen, würde niemand darüber reden.
Frauen in Not unterstützen
Warum Frauen vergewaltigt werden, hat verschiedene Gründe. Ein Grund ist Rache. Wenn ein Stamm gegen einen anderen kämpft, wollen sie dem jeweiligen Gegner einen möglichst großen Schaden zufügen. Und wenn Frauen vergewaltigt werden, fühlt sich der ganze Stamm unrein. Manche Männer machen das, weil Frauen verwundbarer sind, insbesondere wenn sie in eine andere Region kommen, wie beispielsweise nach Mogadischu. Dort gibt es keinen Schutz. Die Männer können hergehen und tun, was sie wollen und dann einfach verschwinden. Ein weiterer Grund ist die fehlende Rechtsstaatlichkeit. Ein solches Vergehen hat keinerlei rechtliche Folgen. Wenn jemand vergewaltigt wird, müssen die Täter bestraft werden. Es existiert jedoch keine durchsetzungsstarke Rechtsstaatlichkeit. Niemand hat daher irgendetwas zu befürchten.

Fartuun Adan und Ilwad Elman, Mogadischu, Somalia |
Wir arbeiten mit den Mädchen. Wir klären sie auf, wir beraten sie, wir leisten medizinische Hilfe. Sie sozialisieren sich, sie kommen zusammen und bleiben in der Einrichtung. Wenn sie nicht zurückwollen, können sie bei uns bleiben. Wir haben sichere Herbergen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass eine Frau, die vergewaltigt wurde und schwanger wird, das Baby auf jeden Fall zur Welt bringen muss. Es gibt keine andere Möglichkeit. Und wo willst du als betroffene Frau das machen? Deine Familie will dich nicht. Du kannst nichts anderes tun, als das Baby zu bekommen. Sie wollen es nicht behalten. Deshalb geben wir ihnen in den sicheren Herbergen die Möglichkeit, das Baby bei uns zu lassen, wenn sie es nicht behalten wollen. Jemand anderes wird es dann aufziehen.
Bedeutung der Anerkennung
Dieser Preis (Aurora Prize) ist sehr angesehen. Wenn jemand unsere Arbeit und unser Handeln anerkennt, ist das für uns sehr wichtig. Ich hätte nicht erwartet, dass das armenische Volk weiß, was in Mogadischu vor sich geht. Aber all das zeigt uns, dass das, was wir tun, auch dort überall auf der Welt zur Kenntnis genommen wird, wo wir selbst nicht präsent sind. Jemand würdigt unsere Arbeit und wir wissen das sehr zu schätzen. Wir freuen uns sehr über unsere Nominierung. Ich glaube, dass die eigene Familie nicht die einzige Verantwortung sein sollte, die man hat. Man hat auch anderen Menschen gegenüber Verantwortung. Menschen, die Hilfe brauchen. Irgendwann muss jeder von uns sterben. Und es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass man auch etwas für andere getan hat und nicht nur für die eigene Familie.
Jeder muss seine eigenen Probleme bewältigen. Diese Flüchtlingskrise ist allgegenwärtig. Es gibt zu viele Flüchtlinge. Früher betraf es das ein oder andere Land, aber jetzt ist die Krise überall. Auch wenn einige Menschen nichts unternehmen, so gibt es doch andere, die bereit sind zu helfen. Anderen zu helfen, humanitäre Hilfe zu leisten, ist eine Haltung. Und ich finde, diese Haltung muss von einem selbst kommen. Du musst das innere Bedürfnis verspüren, etwas unternehmen zu wollen.

Fartuun Adan bei der Verleihung des Aurora-Preises 2017 in Jerewan, Armenien |
Der große Traum vom Frieden
Ich träume von einem sicheren Somalia. Jeden Morgen blicken wir voller Sorgen in den neuen Tag und in die Zukunft. Ich wünsche mir, eines Tages erleben zu dürfen, dass man in Somalia sicher leben kann, dass wir uns frei bewegen können und auch tun können, was immer wir wollen. Derzeit werden in Somalia die Menschenrechte nicht geachtet. Ich würde mir wünschen, dass Gerechtigkeit Einzug hält. Ich würde mir wünschen, die Menschen hätten keine Angst davor, zur Polizei zu gehen und eine Straftat anzuzeigen und offen zu sagen, was ihnen passiert ist, damit ihnen Gerechtigkeit widerfährt. Das ist meine große Hoffnung.
Ich möchte, dass meine Töchter eine gute Zukunft haben. Wenn du nicht an einem sicheren Ort lebst, gibt es dort für dich auch keine Zukunft. Wir helfen anderen Menschen. Aber wir leben auch unter ihnen, obwohl wir die Möglichkeit hätten, nach Kanada zurückzukehren. Wir haben uns jedoch für Somalia entschieden.