Viele Menschen haben zwar Mitleid mit den syrischen Flüchtlingen und finden, ihnen sollte geholfen werden, dennoch fehlt es an tatsächlicher Bereitschaft
- In der öffentlichen Wahrnehmung überlagert der Syrien-Krieg als Auslöser der weltweiten Flüchtlingskrise andere Flüchtlingskrisen wie die in Myanmar, im Sudan und der Demokratischen Republik Kongo, die kaum wahrgenommen werden.
- Die Mehrheit der Befragten ist der Meinung, internationale Institutionen seien am ehesten in der Lage, die Flüchtlingskrise zu lösen, während gleichzeitig die Hälfte sagt, die Flüchtlinge würden von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen.
- Auf die Frage, welchem international führenden Politiker am ehesten zugetraut wird, eine Lösung für Syrien zu finden, erreichen Barack Obama und Angela Merkel mit 46% den besten Wert, gefolgt von Wladimir Putin mit 33% und David Cameron mit 28%. Weit abgeschlagen sind Hilary Clinton mit 17% und Donald Trump mit 9%.
- Die meisten Menschen haben Mitleid mit den Flüchtlingen, doch nur die Hälfte würde Syrern helfen, wenn sie könnten. Eine Mehrheit bezweifelt, tatsächlich etwas bewirken zu können.
- Die Ergebnisse der Umfrage werden bei den Aurora-Dialogen bekanntgegeben, einem internationalen Gesprächsforum von Menschenrechtlern, das am 23. April 2016 in der armenischen Hauptstadt Jerewan stattfindet. Tags darauf wird zum ersten Mal der Aurora-Preis zur Förderung der Menschlichkeit verliehen.
23. APRIL 2016 – Heute wurden bei den Aurora-Dialogen in der armenischen Hauptstadt Jerewan einen Tag vor der Verleihung des Aurora-Preises zur Förderung der Menschlichkeit die Ergebnisse des ersten jährlichen Index für humanitäre Hilfe bekanntgegeben. Es wurde gefragt, welche die drängendsten humanitären Krisen seien, wie man sie bewältigen könne und wer dafür am ehesten in Frage komme. 4.600 Menschen in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, dem Libanon und dem Iran machten Angaben zu diesen Themen. Alle nannten Terrorismus als das drängendste Problem heute und in den nächsten fünf Jahren, gefolgt von Vertreibung.
Die Umfrage legt offen, dass in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich zwischen Wahrnehmung und Realität eine große Lücke klafft: Die Menschen dort schätzen die Zahl der syrischen Flüchtlinge mit 4,5 bis 4,7 Millionen erheblich niedriger ein, als sie tatsächlich ist. Die Amerikaner halten ähnlich wie der Rest der Welt Vertreibung lediglich für die siebtwichtigste humanitäre Herausforderung.
Die meisten Menschen im Westen sind der Meinung, ihre Regierungen hätten in der Flüchtlingsfrage mit Aufnahme der Hilfesuchenden bereits genug getan. Die Menschen in Großbritannien halten die Zahl der in ihrem Land aufgenommenen für doppelt so hoch, als sie tatsächlich ist. In Frankreich und Deutschland hält man die Zahl derer, denen Asyl gewährt wurde, gar für fünfmal höher als die tatsächliche Zahl.
„Die weltweite Flüchtlingskrise wird sich weiter vertiefen, es sei denn die führenden Politiker der Welt schaffen es, sich auf einen besser koordinierten Aktionsplan zu einigen und sich an allgemein gültige Prinzipien zu halten, gestützt durch eine Öffentlichkeit, die über die wahren Geschehnisse und Dimensionen der Flüchtlingskrise aufgeklärt ist“, meint Jean-Marie Guéhenno, Präsident der International Crisis Group, einer Nichtregierungsorganisation, die Analysen und Lösungsvorschläge zu internationalen Konflikten liefert.
„Die Anrainerstaaten, die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten aufnehmen, sind in ökonomischer, sozialer, menschrechtlicher, sicherheitspolitischer Hinsicht durch den schnellen und massiven Zustrom der Menschen überfordert. Jeder gescheiterte Versuch, die Probleme angemessen anzugehen, kann weitere Konflikte nach sich ziehen, weitere Flüchtlingsströme verursachen und das Ausmaß der humanitären Tragödie noch mehr vergrößern. Letztendlich kann eine glaubwürdige Antwort auf die Krise nur darin bestehen, die Hauptursachen der Krise zu beseitigen, jedwede Eskalation des Krieges zu vermeiden.“
Der Index für humanitäre Hilfe zeigt auf, dass die Menschen zwar viel Mitleid haben, ihre tatsächliche Bereitschaft zu helfen aber weit weniger ausgeprägt ist. Jeder zweite Befragte gab an, die internationale Gemeinschaft habe die Flüchtlinge im Stich gelassen. Eine große Mehrheit war der Ansicht, den Flüchtlingen müsse geholfen werden. Dennoch würde nur jeder Zweite tatsächlich syrischen Flüchtlingen helfen, wenn er könnte. Die meisten bezweifeln, tatsächlich etwas bewirken zu können.
„Dieser Bericht hebt ganz besonders die Notwendigkeit hervor, die Öffentlichkeit von der weltweiten Flüchtlingskrise - der größten humanitären Herausforderung unserer Zeit - zu informieren. Eine überzeugte und mobilisierte Öffentlichkeit ist entscheidend sowohl bei der Sicherstellung von Investitionen, die notwendig sind, um das menschliche Leid zu lindern als auch bei der Verpflichtung der politischen Führung, die Ursachen der Krise an der Wurzel zu packen“, so Dominic MacSorley, Vorstandsvorsitzender der Hilfsorganisation „Concern Worldwide“, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Ärmsten der Welt zu helfen.
Fehlinformation und Zynismus führen zu einer der Wirklichkeit entrückten Wahrnehmung der Flüchtlingskrise. Zudem wird kaum unterschieden zwischen Flüchtlingen im eigentlichen Sinne und Wirtschafts- oder anderen Migranten. 70% der Menschen im Westen glauben, Asylsuchende flöhen vor Konflikten, doch ganze 63% glauben auch, sie hätten andere, aus ihrer Sicht berechtigte Gründe.
Die Umfrage zeigt ebenso auf, was Menschen zum Handeln veranlasst. 27% derjenigen, die sich veranlasst sahen, etwas für Flüchtlinge zu tun, gaben an, sie hätten so gehandelt, nachdem sie von einem Einzelschicksal erfahren hatten. Mit 40% gibt es ein sehr ausgeprägtes Interesse, mehr über Einzelschicksale zu erfahren.
„Mir macht Mut, dass aus der Umfrage hervorgeht, dass es Menschen zwar schwer fällt, aus Mitleid Handeln werden zu lassen, sie aber anerkennen, dass diejenigen, die helfen, sehr wohl viel bewirken. Mit dem Aurora-Preis wollen wir die Helfer würdigen, die alles im Namen anderer riskieren. Indem wir aufzeigen, was ein Einzelner bewirken kann, hoffen wir, dass mehr Menschen helfen wollen“, so Vartan Gregorian, Präsident der Carnegie Corporation in New York, Mitgründer von 100 LIVES, Mitglied des Auswahlkomitees für den Aurora-Preis.
Weitere Ergebnisse des Indes für humanitäre Hilfe
Syrien steht stellvertretend für die weltweite Flüchtlingskrise
- Weltweit herrscht die Meinung vor, Syrien sei das Land, aus dem die meisten Menschen dieses Jahrzehnts geflohen sind. Dabei wird außer Acht gelassen, dass viel mehr Menschen aus Ländern Afrikas und Asiens kommen.
- Obwohl insgesamt über eine Million Menschen aus ihrer Heimat im Sudan oder Südsudan geflohen sind, wissen nur 8% der Befragten um das Ausmaß dieser Krise.
- Jeder fünfte Amerikaner nennt Mexiko als das Land, aus dem die meisten Flüchtlinge kommen, während Briten und Franzosen die Zahl der Flüchtlinge aus Libyen zu hoch schätzen.
Sichere Zuflucht und Ausmaß der Krise
- Die Rolle der Nachbarländer bei der Aufnahme von Flüchtlingen wird grundlegend unterschätzt. Nur 15% der Befragten konnten richtig einschätzen, dass die Türkei weltweit die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat. Nur 2% wussten, dass auch Pakistan Flüchtlingen eine sichere Zuflucht bietet.
- Im Gegensatz dazu wird die Zahl der syrischen Flüchtlinge, die das eigene Land aufgenommen hat, zu hoch eingeschätzt. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland glaubt man, die Zahl sei fünfmal so hoch, als sie tatsächlich ist.
Mangelnde Führungskraft
- Mit überwältigenden 70% sind die Befragten der Meinung, es sei an den internationalen Institutionen, die weltweite Flüchtlingskrise zu lösen, doch jeder Zweite glaubt, die internationale Gemeinschaft lasse die Syrer im Stich.
- Die mangelnde Führungskraft wird laut Ergebnissen der Umfrage daran deutlich, dass kein führender Politiker sich des Problems nachhaltig annimmt. Unter allen Befragten besteht Einigkeit darin, dass man Angela Merkel, Barack Obama und Wladimir Putin am ehesten zutraut, eine Lösung zu finden. Daraus folgt, dass die Franzosen mit 51% Angela Merkel mehr zutrauen als François Hollande mit 36%. Bei den Briten liegen Angela Merkel und David Cameron mit 41% bzw. 39% beinahe gleichauf.
- Im Libanon setzen die Befragten ihre Hoffnung mit 39% vor allem auf den Generalsekretär der Vereinten Nationen Ban Ki-moon. Wenig dahinter liegt der Iran mit 37%. In Amerika sind die vielversprechendsten Präsidentschaftskandidaten Hillary Clinton und Donald Trump mit 23% bzw. 16% weit abgeschlagen.
Hilfe zu leisten ist ehrenvoll
Trotz Tatenlosigkeit und Zynismus gilt Hilfe zu leisten als ehrenvoll. 71% der Befragten zollen einzelnen Helfern für ihren Einsatz in Krisengebieten großen Respekt. 69% glauben, es zeuge von großem Mut, notleidenden Menschen vor Ort trotz der Gefahren für das eigene Leben humanitäre Hilfe zu leisten. Bei der Bewertung der eigenen Verantwortung gaben 49% an, sie hätten Bedenken, was die Verwendung ihrer Spenden angehe.
Einigkeit besteht in der Einschätzung, wie man mehr Menschen zum Helfen motiviert:
- Eine klare Vorstellung von der eigenen Verantwortung zu helfen
- Transparenz bei der Verwendung der Spenden
- Die Schaffung einer globalen Gemeinschaft, die diejenigen belohnt, die helfen