Von Anna Arutunyan
Ich habe einen armenischen Namen. Zu diesem bin ich auf dieselbe Weise wie die meisten Armenier gekommen: Ich wurde damit geboren. Der Name kommt allerdings mit einer Geschichte: Die Urgroßväter meines Vaters waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts Priester in Artaschat, einer der antiken Hauptstädte Armeniens. Doch in mir vereinen sich auch Ethnien, die sich nicht an meinem Namen ablesen lassen. So fließt durch meine Adern genauso viel jüdisches Blut wie armenisches: Meine Familie mütterlicherseits hat ihre familiären Wurzeln in der Gegend um die weißrussische Stadt Wizebsk und in der Zentralukraine. Mein russisches Blut verdanke ich meiner Großmutter mütterlicherseits, die aus der südwestrussischen Stadt Orjol stammt.
An meinem Namen lässt sich diese bunte Mischung an Ethnien nicht ablesen und auch nicht die Tatsache, was ich sehr bedaure, dass weder mein Vater noch ich Armenisch sprechen oder verstehen, denn wir kamen beide in Moskau zur Welt.
Auch lassen sich an meinem Namen nicht die zentralen Erfahrungen meines Lebens ablesen, die meine Identität geprägt haben. Zur Welt kam ich in Moskau, doch ich wuchs in den Vereinigten Staaten auf: Ich verbrachte sieben Jahre in Oklahoma, bevor ich nach Texas weiterzog und schließlich nach New York. In den Vereinigten Staaten bekam ich oft die Frage gestellt, warum mein Name nicht russisch klinge. Die Antwort, es handele sich um einen armenischen Namen, machte die Verwirrung erst komplett: In der Nachbarschaft, in der ich aufwuchs, hatten die Menschen, die mir diese Frage stellten, oft keine Ahnung, dass es ein Land namens Armenien überhaupt gibt.
Meine russisch-jüdische Herkunft lag da viel eher auf der Hand, denn ich war eine Einwanderin aus Russland und der Holocaust war Gegenstand des Schulunterrichts. Im Gegensatz dazu gab es keinen Platz für irgendetwas Armenisches. Als ich im Teenageralter mit den Folgen des Völkermordes konfrontiert wurde, verstaute ich das ganz schnell ganz hinten in einer dunklen Ecke, um nicht darüber nachdenken, es nicht an mich heranlassen zu müssen.
Erst nachdem ich im Rahmen meiner Arbeit als Journalistin nach Moskau zurückgekehrt war, ließ mich die Frage nach meiner armenischen Identität nicht mehr los. Anders als die Amerikaner im mittleren Westen wissen Russen sehr wohl, wo Armenien liegt. Allzu oft kommen negative Stereotype an den Tag, aber auch positive. Als Journalistin, deren armenischer Name in der Verfasserangabe steht, kenne ich beides.
Als mein Buch über Putins Russland herauskam, war ich zu meinem eigenen Erstaunen verärgert über einige Leser, die in mir die Armenierin sahen und darauf ihre Annahme zu gründen suchten, meine armenische Herkunft habe mich beim Schreiben der Worte beeinflusst. Was für eine Armenierin bin ich überhaupt? Ich spreche nicht die Sprache und habe dem Land als Erwachsene gerade einmal zwei Besuche abgestattet. Wie um alles in der Welt hätte meine armenische Herkunft meine Worte beeinflussen, darauf abfärben können? Es hatte nichts mit Stolz oder Scham zu tun, denn ich war so erzogen worden, auf das bisschen armenische Blut in mir stolz zu sein. Doch ich spürte instinktiv, dass es irgendwie falsch war, diese Identität für mich zu beanspruchen, ohne mich zunächst intensiv damit auseinandergesetzt zu haben, was ich bis dahin noch nicht getan hatte. Es fühlte sich an wie eine große Verantwortung.
Doch dann bahnte sich meine armenische Herkunft von ganz tief innen ihren Weg an die Oberfläche, zum ersten Mal während meines Aufenthaltes in Jerewan anlässlich einer Schriftstellerkonferenz im Jahr 2012. Der Zufall wollte es, dass ich während dieser Konferenz ein besonders schwieriges Kapitel meines Buches zu Ende brachte: eines, dass sich eingehend mit ursprünglichen Einstellungen zu Macht und Religion beschäftigt sowie der Frage, wie Geschichte den menschlichen Geist formt. Vielleicht lag es am Besuch von Chor Virap, dem Abstieg in die Höhle, in der man Gregor den Erleuchter dreizehn Jahre gefangen hielt, dem Duft orangebrauner Erde, zu vielen eigenartigen Gesprächen mit Dichtern und Anthropologen oder auch an der Erkenntnis, dass mein Buch trotz des großen Interesses armenischer Verlage aus politischen Gründen nicht auf Armenisch erscheinen würde.
Da brachen plötzlich die Dämme und ich drohte von einem Strudel aus blutiger Geschichte in die Tiefe gezogen zu werden. Doch die blutige Geschichte ist kein Alleinstellungsmerkmal Armeniens, denn ich war das Produkt dreier Völker mit Gewalterfahrungen: Zwei davon wurden Opfer eines von anderen verübten Völkermordes und das dritte verübte einen Völkermord an sich selbst. Doch hier in der orangebraunen Erde steckte all das in konzentrierter Form in geradezu toxischer Dosis.
Wenn ich schreibe, tauchen folgende Themen immer wieder auf: massenhafte Unterdrückung, militärische Auseinandersetzungen, kollektive posttraumatische Belastungsstörungen. Während meiner Reisen musste ich mir eingestehen, dass es naiv wäre anzunehmen, all dies habe nichts mit dem Erbe desjenigen zu tun, der darüber schreibt, der geringstenfalls einen Namen trägt im Wissen um das schier Unendliche, was damit verknüpft ist. Wir wissen nicht genau, wie Blut die Identität beeinflusst. Ich für meinen Teil kann jedoch nicht länger behaupten, es sei nicht so.